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DER UNTERGANG DER MAUS VOM ASCHER

 

„Marche a la Decharge/

Avec des yeux ouverts!/

Connais le Materiau de Construction !/

Fais une Construction Nouvelle !

(Francois-Eberhard de Balsaque)

 

Mitten im Hochwald des Morus, auf einer kleinen Anhöhe, da befand sich einst das Haus von Stanislaus Ascher, Baron v.Altwartenburg, bevor es dann im Zuge des letzten „Großen Krieges“ aus relativ ungeklärten Gründen in Flammen aufging, explodierte und im Zuge dessen ein Gutteil des Baumbestandes dahingerafft wurde.

Zurück blieb pechschwarze Ödnis und für längere Zeit war dieser Ort gefürchtet und ward für verflucht erklärt. Doch der Wald wuchs bald in herrlichem Hellgrün nach, der Charakter der Szenerie veränderte sich und am Ende konstatierten die Forst-Fachleute nur noch eine „Bestandslücke, welche bald geschlossen sein würde“. Die Eingeborenen nannten diese „Lucina“. Heute wieder alles vom Wald erobert.  

Das stolze Anwesen Aschers bestand – so eine historische Quelle – aus einem Haupthaus und drei Nebengebäuden. Das Haupthaus besaß drei Stockwerke und darüber zusätzlich einen Turm, von dem aus man auf die Wipfel des Hochwaldes herabblicken konnte, sich während solcher Beobachtung – so ein alter Chronist – in der Regel also ein „Grünlich-meerartiges Gefühl“(was das auch immer bedeuten mag!) einstellte.

Dort droben im Turm übrigens die bedeutende Aschersche Bibliothek, und ebendort im obersten Regal diese in Oxford einst erschienene „Welt-Enzyklopädie“, in welcher er selber mit dem Beitrag „UKULELE“ vertreten war.

Dieser Turm war nur von weitem zu sehen, die ganz bewusst in schlechtestem Zustand gehaltene Straße hin zum Anwesen mittels Schranken versperrt. Wurden diese Schranken für einen Besucher geöffnet, dann führte – wie ein alter Chronist festhielt – die holprige Fahrt durch dichtesten Wald, bevor man sodann in einer Kurve die äußeren Mauern des Ensembles zum ersten Mal erkennen konnte. Die Fahrt dauerte insgesamt 33 Minuten, oder habe zumindest so lange zu dauern, wie Ascher immer sagte, wenn er sich in lustiger Runde seinen Mitmenschen zuwandte, um sie mit Verrücktheiten aller Art zu beeindrucken und schließlich zu langweilen. Auf seiner alten Ukulele – die ihm heilig war – spielte er die verrücktesten Lieder, oft mit selbst erfundenem Text, der stark an das Italienische erinnerte. Eines hieß „Essopresso, moltoflotto“ und er spielte es immer sehr schnell, doch jedem Romanisten würden vor Fremd-Scham die Haare zu Berge stehen, würde der Verfasser den sinnlos-niveaulosen Text hier vollständig zitieren.

Mit dieser performativen Niveaulosigkeit, mit seinem Feuerwerk an Verrücktheit wollte Ascher immer den Graben zwischen sich und den Mitmenschen zuschütten. Dazu kam der Einsatz des Alkohols:

Als Gast verließ man dieses Haus Ascher jedenfalls immer mit dickem Kopf. Niveaulosigkeit, Verrücktheit, Irre Glampfen-Musik, Alkohol hatten sich immerzu abgewechselt, was ja für jedes Nervensystem(!) tödlich oder zumindest sehr schädlich ist.

Am darauffolgenden Tag starrte Ascher dann immer von seinem Turm aus mit irrem Blick auf das Grüne Wipfel-Meer des Hochwaldes, trank – nach der Sitte der Fahrensleut‘ der Weltmeere(wie er immer sagte) – starken, süßen Grog und zupfte immer nur an einer Saite seiner Ukulele denselben Ton. Wenn er dann nach dem 7. Grog volltrunken war, verfluchte er die Gäste des gestrigen Abends und sein Diener und Hausmeister, Herr Albinot Weiss – der ihn zuvor mit Grog versorgt hatte – trug ihn ins Bett.

Wirklich verstanden fühlte er sich eigentlich nur von seinem Schwarzen Kater, aber auch ihm gegenüber ließ er sich zu mancher – seinem sozialen Niveau eigentlich gar nicht entsprechenden! – Zote hinreißen.

Genau dahinter verbarg Herr Ascher seine Emotionale Sensibilität. Das „Schnurren des Schwarzen Katers“ auf seinem Schoß zeigte ihm aber immer, dass es um mehr ging. Das „Schnurren der Katze am Schoss“ – so soll er einmal einem Journalisten gegenüber in reinstem Deutsch(!) gesagt haben – ist ein „Mehrwert fürs Leben“.  

Die Nächte waren bei Aschers Anwesen übrigens derart pechschwarz, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte. Dasselbe galt natürlich auch für das Innere des Hauses, waren die Lichter sodann gelöscht. Und alles war von Völliger Totenstille umhüllt, sobald alle zu Bett gegangen waren .

Herr Weiss, Albinot stammte aus Medvecka crkva, seine Mutter war Albanerin aus Ohrid, der Vater stammte aus Petzenkirchen(Ostr. Dol.). Er war geduldig und brav und erfüllte seinem Meister jeden Wunsch, wenn es ihm nur möglich war.

So befahl Herr Ascher dem Weiss, seiner Nichte Marie Luise, welche vor dem traurigen Ereignis immerhin schon 777 Tage(!) bei Ascher wohnte, jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Und er würde hier nicht scherzen, und die Vorbringung eines Missverständnisses sei „völlig unangebracht“, fügte Ascher damals hinzu.

Marie Luise wurde in der Familie immer „Marellu“ genannt, in der Volksschule gab ihr dann aber ein Bauernbub den Namen „Marille“, worauf sie die Schule aufgrund von „Psychischen Konflikten“ zu wechseln hatte.

In der anderen Schule wurde sie sodann mit dem Namen „Mortadella“ belegt, da sie sich die Haare schwarz zu färben begann, und das für die Mitschüler ein Zeichen des Todes war.

Dass „Mortadella“ etymologisch mit „Tod“ gar nichts zu tun hat, blieb hier sekundär. So wurde sie schließlich im Kloster erzogen, bei den Schwestern „Zur Heiligen Erwartung zu Fechilaponte“(Ostr. Gor.).

Sie wandte sich dann der Magie zu und machte sich diesbezüglich einen Namen in aller Welt. Die Gründung eines „Frauen-Institutes für Magische Studien“ an der Universität von Dunajski grad – mit ihr als Leiterin – scheiterte aber, da man das Sujet weder der Natur- noch der Geisteswissenschaft sauber zuordnen konnte oder überhaupt könnte.

Der oben erwähnte Schwarze Kater vom Ascher hieß „Meister Petz“:

Ein schwarzer, feister, zumeist übelgelaunter Zeitgenosse, der eigentlich den ganzen Tag mit geschlossenem Auge(!) im Erdgeschoss beim offenen Kamin lag; übelgelaunt, unberechenbar, eben selbstbestimmt. Sein irdisches Dasein ganz ohne Anspruch in Richtung irgendeiner „Religion“ Tag für Tag meisternd.

Seine Ein-Äugigkeit(s.o.) ergab sich übrigens – historisch betrachtet – wie folgt:

Er hatte sein linkes Auge verloren, als Hausmeister Weiss gerade im Auftrag von Ascher(!) im Anwesen Schwarze Raben per Gewehr nach der Reihe erschoss.

Denn kurz zuvor hatte Ascher das Gedicht „The Raven“ von Poe im „Neuen Regiona-Radio“ gehört, und befahl daraufhin, dass „Alle Raben hier“ getötet werden müssten.

Der an sich inaktive Meister Petz lief ihm dann plötzlich in die Schusslinie und er wurde am Kopf getroffen, das heißt eigentlich:

Die Kugel drang via seines „LINKEN AUGES“ in den Kopf ein. Andere – historisch zutiefst verlässliche Quellen – berichten, dass es das „RECHTE AUGE“ gewesen sei.

Beim Herausnehmen der Kugel ging dann – wie verlässlich überliefert ist(!) – ein Kleines Stück Gehirn mit, was aber gar nichts machte, haben Katzen doch bekanntlich 9 Leben. Die Genesung erfolgte also sehr schnell.

Am Tag lag Meister Petz also beim Kamin, und hing seinen Visionen und Träumen nach, in pechschwarzer Nacht aber ging er mit stolzem Schritt eisern auf Patrouille durchs ganze Haus. Er achtete hierbei immer darauf, dass er Ascher „zufällig“ traf, wenn dieser um 03:33h die Toilette aufsuchte. So heimste er jedesmal ein Dickes Lob vom Meister ein, in der Form: „Dobro Katzo, Dobro Katzo, was tät‘ ich ohne Dich, im meim‘ Palazzo“. Da sagte sich Meister Petz immer: Besser nichts reden, als so einen Unsinn reden.

Meister Petz sprach übrigens schon seit seiner Jugend(!) perfekt Deutsch. Doch das verbarg er immer. Denn würde er offen sprechen, dann würde er nur so mit „Ascherschen Befehlen“ eingedeckt werden. Dies und das und sowas noch. Dem ging er behend aus dem Weg.

Es war im Grunde ein sonniger Tag, als Ascher sich mit Ohrstöpseln in den Ohrensessel des unteren, chinesischen Salon setzte, um – wie er immer sagte – seiner „Inneren Musik“ zuzuhören, und Frau Marellu nach dem Hausmeister klingelte.

Als dieser erschien, grinste sie sanft: Was für eine wundervoll geformte Frau mit weißer Haut, langes, schwarzes Haar, roter Mund, braune, mittels Lidstrich umrahmte Augen. Ihr Poe immer auf dem Nachtkästchen.

Sie begann sich langsam auszuziehen und soll – so wurde es dann später erzählt – zu Weiss gesagt haben:

„Herr Hausmeister, seien sie mir nun mein Hausbesorger“.

Obwohl Weiss homosexuell war, erfüllte er Frau Marellu ihren Wunsch, ganz der General-Anweisung Aschers folgend.

Schon kurz danach war der Blick von Marellu böse und ein Kippen der Stimmung(!) wurde spürbar. Sie begann herumzustarren, fixierte einmal diesen, einmal jenen Gegenstand. Dann wieder blickte sie Weiss an.

Dann erhob sie sich und warf Weiss mit erhobenem Zeigefinger und lauter Stimme vor, er habe sie soeben vergewaltigt. Dann schrie sie nur noch, ihr schwarzes Haar wurde wirr, sie griff zum Zauberstab und sagte keuchend:

„Weiss ab jetzt Weisse Maus“!

Die folgenden Ereignisse waren grauenvoll für Weiss, nun Maus:

Zunächst blähte sich neben ihm die in Unordnung gebrachte Bettwäsche auf und wurde ihm zu einem bedrohlichen, weißen Gebirge. Überhaupt sah er plötzlich anders. Er wollte „Hilfe“! schreien, brachte aber nur ein gelindes Piepen heraus. Alles so, wie in manchem Alptraum, nur eben ganz real. Für seine Orientierung schienen fortan nicht mehr so sehr die Augen, als vielmehr Vibrisse an der Schnauze zuständig zu sein.

Und schon holte Marellu zum tödlichen Hieb aus, und Maus Weiss sprang aus dem Bett, und rannte so schnell er konnte in den argentinischen Salon. An der Tür blickte er sich noch einmal kurz um, und sah Marellu, wie sie ihm mit geballter, erhobener Faust nachrief:

„Herr Weiss als weiße Maus! Ha, warum weiß? Nicht wegen des Nachnamens, nur deshalb, weil dich Meister Petz nun leichter sehen, töten und fressen kann“!

Und sie lachte. Dieses Lachen wurde alsbald zwanghaft und tönte bereits zu den Tieren des Waldes hinaus, nur Ascher hörte nichts, saß er doch mit Ohrstöpseln im Ohrensessel des chinesischen Salons, um seiner „Inneren Musik“ zuzuhören. Das Lachen Marellus wurde zunehmend heiser, ging dann über in ein Röcheln, schließlich legte sie sich – nackt wie sie war – ins Bett, um zu „relaxieren“.

Im argentinischen Salon hatte Weissmaus unter der Sitzecke neben der alten Kommode gleich neben dem Schreibtisch – welcher bekanntlich ein Erbstück von Onkel Alfonso aus Buenos Aires war – den Eingang zu einer alten Maus-Wohnung gefunden, welche grundsätzlich den Eindruck erweckte, gerade erst verlassen worden zu sein, denn 2 Gedecke befanden sich am Esstisch in der Wohnküche, daneben 2 Becher, in denen sich wohl so eine Art Weissbier befunden haben dürfte, stellte Weissmaus schnuppernd fest. In der Küche stand eine Schüssel mit 2 Käsestücken, 3 Nüssen und 4 Brotkrümel, bereit um aufgetragen zu werden. Es schien so, als ob hier jemand noch vor dem Essen etwas Dringendes zu erledigen gehabt hätte, aber sofort wiederkommen würde. Allein der dicke, überall vorfindbare Staub verriet, dass hier schon lange niemand mehr war, wohl ein schweres Unglück passiert war. Alles erinnerte ihn an Tschernobyl(= dt.: „Schwarz-Weiss“).

Und plötzlich wurde Weissmaus bewusst, dass er einmal vor 3 Jahren in diesem Salon eine Maus auf höchst heimtückische Weise gejagt, gefangen und dann noch auf höchst brutale Weise gefoltert hatte, bevor er den halbtoten Körper dem Meister Petz zuwarf, welcher diesen nach Art der Hunde noch in der Luft fing, dann laut schnurrte und aus dem Salon stolzierte. Ungefähr 13 Minuten später brachte er dann noch eine weitere tote Maus daher. Beide legte er dann – wie Weiss damals beobachtete – Ascher vor und erhöhte damit sein Prestige immens. Ascher sagte jedesmal: „Buon Appettitto, Topolino caputto“.    

Offenbar kam das Maus-Ehepaar, welches hier einst wohnte, auf diese abscheuliche Weise um, dachte sich Weissmaus nun, als er das Schlafzimmer betrat und sich hinsetzte. „Nur nicht zuviel bewegen, nur nicht zuviel Staub aufwirbeln“, dachte sich Weissmaus. „Sonst hört mich noch dieser verrückte Kater“.

Dieser lag im Erdgeschoss und hörte bereits, wo Weissmaus saß, oder besser:

Er spürte es, besitzen Katzen doch bekanntlich einen 6. und einen 7. Sinn. Gerade, als Weissmaus in die verlassene Wohnung geschlüpft war, hatte er sein Auge aufgemacht, gähnte, seine rote Satanszunge und seine weißen, scharfen Zähne zeigend, schloss sein Maul wieder, schloss das Auge. Schlaf.

Weissmaus kam mit sich überein, dass diese Wohnung zwar eine provisorische Unterkunft sein könne, auf Dauer sei sie aber zu gefährlich, d.h. zu nahe beim Kater sei.

Seine zukünftige Wohnstatt müsse ganz nach oben verlegt werden, und zwar in den Turm, und dort in die Bibliothek, und dort ins oberste Regal, hinter die „Welt-Enzyklopädie“ also.

Der Kater sei zwar gerissen, brutal und blutrünstig, gleichzeitig aber zutiefst faul.

Er würde nie in den Turm kommen, um Weissmaus zu töten, der Aufwand hierfür sei ihm ganz einfach viel zu groß. Er wollte Ascher zwar immer imponieren, doch war nicht bereit, dafür viel zu investieren. So war er, der Kater.

Längst verspürte Weissmaus Hunger. Seine letzte Jause als Mensch lag schon Stunden zurück und sein Magen knurrte. Immer wieder versuchte er, sich zwecks Ausarbeitung eines sinnvollen und exakten Zukunftsplans am Riemen zu reißen, doch er wurde zunehmend unkonzentriert.

Also der Nachschub für seine Turmwohnung müsse natürlich aus der Ascherschen Speisekammer unten kommen. Diesen Weg müsse er dann eben zum Schutz seines Lebens auf sich nehmen, sagte sich Weissmaus.

Das Weiße Fell allerdings sei ein großes Risiko, wie schon Marellu gesagt hatte. Deshalb müsse es umgefärbt werden, und zwar in schwarz. So beschloss Weissmaus, noch heute in den Pechschwarzen Keller unterhalb der Speisekammer zu gehen, sein Fell mittels Kohlenstaub umzufärben, sich dann ein paar Bissen in der Speisekammer zu genehmigen, bereits etwas Proviant zu fassen, zur Wohnung zurückzukehren, und dann bei günstiger Gelegenheit umgehend in Richtung Turm zu gehen, um sich dort dauerhaft anzusiedeln.

Um 03:33h war Abmarsch. Abschnitt um Abschnitt arbeitete er sich im stockdunklen, totenstillen Haus vor, wie damals im Krieg, als er als Herr Weiss einst im Häuserkampf verwendet wurde. Er erreichte den Kohlenkeller, schlüpfte über einen Türspalt hinein und färbte sein Fell mit zittrigen Fingern planmäßig um, von weiß auf schwarz. Nun ging es in Richtung Speisekammer. Sein Magen schmerzte bereits vor Hunger.

Als er beim Kellerabgang um die Ecke bog, erschien ihm plötzlich ein Licht.

Das war das Licht des Todes, nämlich das Leuchtende Auge des Katers, welcher ihn sofort verschlang.