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“ELOBERT ‘AL’ STIFTER - A GERMAN FICTION WRITER”.

Interview mit Prof. Dr. Dimitri Bora-Bora(Oxford) aus:  „VOX IN RANA“(13/2023), S. 33 ff. Geführt von A. Sedlowitzer, übersetzt von E. Oberegger.

 

© Vox in rana

Ph.D., Dr.hc.mult.(München, Salzburg, Berlin etc.) Dimitri Bora-Bora(geb. 1970 in Sewastopol/UdSSR), Prof. für „German Literature“ an der University of Oxford/NM.

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VOX IN RANA: Herr Professor, wo haben Sie den Stifter zum erstem Mal kennengelernt bzw. wie sind Sie auf ihn aufmerksam geworden?

BORA-BORA: Ja, das war schon vor Jahrzehnten, während unseres Salzkammergut-Urlaubes, also dort war ich mit meiner Frau Lilo. Und wir saßen gerade im Gastgarten des Restaurant „Zum Roten Büffel“ in Bad Ischl, als da plötzlich vor allen Leuten ein junger Mann aus dem Lokal geschmissen wurde. Also vom Wirt persönlich und einem mir zunächst unbekannten Mann, der das Opfer dieser Gewaltaktion laut als „Bluthusten Österreichs und Europas“ bezeichnete. Ferner schrie er, dass seine Bücher noch vor Erscheinen verboten gehören. Ich dachte da u.a. an diese „Holzfällen-Affaire“ von 1984, stand sofort auf und verließ diese freundliche Gaststätte, während meine Frau bezahlte.

VOX IN RANA: Und das war der Stifter?

BORA-BORA: Ja, und natürlich bin ich auf diesen armen Mann zugegangen. Er konnte ja schon damals gut Englisch, stellte sich vor und erklärte mir, dass dieser Unbekannte einer der größten Philosophen und Literaturkritiker Österreichs sei. Das Problem war eine Diskussion, den Begriff „Nestbeschmutzer“ betreffend. Stifter hatte gesagt, es könne in Österreich gar keine Nestbeschmutzer geben, da Österreich doch von Nestbeschmutzern beherrscht sei. Vor allem das Kunst- und Kulturleben. Naja, der Ischler Vorfall unterstützt diese These natürlich. Also wenn sich – nota bene – ein berühmter österreichischer Philosoph und Literaturkritiker derart banausenhaft aufführt. Meiner Frau war Stifter sofort sympathisch, und sie nannte ihn „Bert“, so wie Bert Brecht. Ich nenne ihn „Al“.

Der junge Stifter:

© Vox in rana

VOX IN RANA: Welche politische Einstellung hat der Stifter eigentlich? Hat er Ihnen gegenüber darüber einmal was gesagt?

BORA-BORA: Ja, Stifter ist grundsätzlich Marxist. Aber im reinen Sinne eben, nicht in dem Sinne, wie der Kommunismus bei uns in der Sowjetunion oder auch in der DDR war. Dass also drei, vier, zehn oder zwanzig Leute das „Volk“ sind und der Rest nicht. In der „Deutschen Demokratischen Republik“ regierte das Volk immerhin letzten Endes in Form von vor allem drei Leuten, nämlich dem Ehepaar Honecker und Mielke. C‘est maigre! Und 1989 kam dann eben die Retourkutsche unter dem Slogan „Wir sind das Volk“!

VOX IN RANA: Ja, und Stifter schimpft dort und da lauthals gegen den Kommunismus. So z.B. in „Iesus Amicus“.

BORA-BORA: Ja, ja, er hält diesen kranken Anti-Kommunisten von damals oder heute eben gern den Spiegel vor. Die haben ja keinen Dunst von Marx oder Kommunismus, haben diesbezüglich aber immer die Klappe weit offen. Und Fanatismus wächst nun einmal auf Un-Informiertheit und sonst nirgends. Die Dummheit ist der Urgrund für alles Böse in der Welt. Der Marxist oder Kommunist wird in unserer heutigen freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf eine Weise diskriminiert, die diesem System eigentlich nicht sehr gut ansteht. Die Welt könnte heute eine „Globale Gemeinschaft“ sein, ohne Krieg. Was aber ist sie? Ein öder, bewegungsloser Corpus, befallen von parasitären Kapitalisten. Bei denen hört sichs dann mit „Freiheit“ und „Demokratie“ sofort auf, wenn ihre „Interessen“ in Gefahr kommen.

VOX IN RANA: Also, unser Blatt…

BORA-BORA: Stifter hat jedenfalls nie sympathisiert mit diesem DDR-Regime oder dem Sowjet-Regime, vielmehr ist er dem Dialektisch-historischen Materialismus von Marx verpflichtet. Er glaubt also an den Menschen, nicht an Gott. Der Mensch muss sich selber aus seiner Misery befreien, Gott und Gebet sind hier keine Faktoren. Der Mensch ist ganz im Sinne der Aufklärung für sich selber verantwortlich. Ganz im Sinne von Kant, der ja gesagt hat, „Aufklärung“ sei im Grunde der autonome Gebrauch des eigenen Verstandes. So sieht Stifter das und arbeitet in diesem Sinne. Eine Parteigründung liegt ihm aber fern. Er will aber Zusammenhänge offenlegen, die den Menschen insgesamt betreffen aber auch natürlich unsere Konsumgesellschaft betreffen. Und er will herausstellen, was den Menschen so ruiniert oder ruinieren kann. Und mit diesem Bezug auf die Konsumgesellschaft ist er natürlich eine „Persona non Grata“ im Kontext des Kapitalismus. Für den heutigen Kommunismus ist er allerdings wieder zu liberal. Nordkorea, Kuba, verstehen sie? So steht er also relativ alleine da und ist isoliert. Und das nimmt er hin. Letzten Endes aber schildert er gerne, unter welch‘ zunächst völlig harmlos erscheinenden Voraussetzungen sich in der Folge größtes Unheil entfalten kann.

VOX IN RANA: Die Theorie vom Schmetterlingsflügel-Schlag also.

BORA-BORA: Exakt. Ein Schmetterlingsflügelschlag in Europa kann einen Sturm in Kuba verursachen. Oder wie Max Weber sagt: Niemand kann die Konsequenzen seines Handelns exakt abschätzen. Das gilt natürlich auch für das Wort. Ein einziger Satz kann einem Menschen das ganze Leben lang negativ verfolgen und krankmachen. Aufgrund eines einzigen, unüberlegten Satzes der Mutter oder des Vaters kann in der Folge ein Massenmörder entstehen. So würde Stifter es sagen. In „Datenschutz“ kommt dieses Motiv ja auch ganz massiv vor.

VOX IN RANA: Was sagen Sie nun zur literarischen Methode des Stifters, so ganz allgemein? Ist er einordenbar?

BORA-BORA: Stifter hat meiner Meinung nach in die deutsche literarische Landschaft einen ganz bemerkenswerten, neuen Tonfall eingebracht. Stifter ist einerseits Handke oder Bernhard, im Grunde aber ein Punk, ein Müll-Durchstöberer, ein Trashman, ein Verwerter von vorhandenem Material, ein Bricolateur, wie es ja besonders in seiner Erzählung über die „Maus vom Ascher“ sehr klar herauskommt. Und er gibt das auch ganz offen im Einstimmungs-Zitat zu. Da sind mehrere Poe-Stoffe drin, Bernhard, Kafka undsofort. Aber gut gemischt und gut abgeschmeckt. Er liebt Verweise auf bereits bestehende Literatur, Filme oder auch Songs. Er versucht sich auch in verschiedenen Stilen. Sein „Ghost Rider“ ist zugleich Western als auch Geistergeschichte. Auch Erotik und Pornographie hat er sich gewidmet, und er erzählte mir, dass es besonders schwierig gewesen sei, dafür die richtige schriftstellerische Fassung zu erfinden, ja, zuerst einmal das entsprechende Sprach-System zu erlernen. Trotzdem könnten ihn böse oder ignorante Zungen nun als „Pornograph“ oder „Krypto-Pornograph“ bezeichnen.

VOX IN RANA: Aha, um welche Werke handelt es sich da?

BORA-BORA: Also das kommt sehr massiv vor in „Datenschutz“ und „Die Plastik“. Es ist schon beeindruckend, wie er in „Datenschutz“ diese „Nympho-Psychose“ beschreibt. Der Untertitel lautet ja „Exkursionen in eine verdammt-kranke Seele“.

VOX IN RANA: Warum tat er das, hat er da mit Ihnen gesprochen?

BORA-BORA: Ja, er hat schlicht gesagt, um hier einen Bereich schonungslos anzusprechen, vor dem jeder Angst hat. Ein Lebensbereich, vor dem jeder Angst hat. Oder er ist zumindest angerührt, wenn er damit konfrontiert wird. Essen, Trinken, Schlafen. Alles kein Problem. Sex aber schon, in erster Linie, wenn er in die schöne Literatur eingebaut wird. Er hat sich damals viel mit De Sade beschäftigt. Die Diskussionen waren oft qualvoll. Er betonte dann auch immer, dass seine Initialen „E.S.“ seien, so wie das „Es“ bei Freud, diese animalische Ebene, die ständig versucht, das menschliche „Ich“ auszuhebeln, welches seinerseits vom „Über-Ich“ bedrückt wird.

VOX IN RANA: Aber im Grunde ist er vielschichtig?

BORA-BORA: Ja, und man darf auf den humoristischen Aspekt seiner Arbeit nicht vergessen. Dieser erinnert vor allem an Loriot, Valentin und Polt. Und er ist oft nur rein technisch gesehen humoristisch bzw. lustig, sodass man laut auflachen könnte. Auch den süddeutschen Dialekt spart er in seinen Erzählungen übrigens nicht aus. Letzten Endes ist er „Spaß-Guerilero“. Denn er hat ja gesehen, dass diese Gattung längeren Bestand hat und erfolgreicher ist, als Bombenlegen und Morden.

VOX IN RANA: Es werden ihm oft Stilbrüche vorgehalten. Was meinen Sie dazu?

BORA-BORA: Nein, das sehe ich nicht, so wie sein Bezug zum Bildnerischen keine Ausdrucksschwäche ist, sondern das liegt eben in seiner Natur. Er drückt sich eben sehr gezielt aus und so will er etwa im „Glöckner“ offenlassen, von wem die Protagonistin eigentlich schwanger geworden ist. Er deutet hier also auf einen Abgrund hin. Dieser bleibt aber verborgen.

VOX IN RANA: Und seine Karriere?

BORA-BORA: Wird er wohl keine haben, besonders in Österreich nicht, denn er ist Non-Konformist, also eine Person, die man nicht einmal ignoriert, wie man das dort so sagt. Und er mag die Verlage nicht, die Vor-Schriften machen. Frei entfalten könne man sich nur verlagslos, sagt er immer. Akzente setzen könne man nur verlagslos. Zunächst jedenfalls. Das Publikum sieht er als faschistische Vereins-Meierei. Der Chef sagt, was gut und akzeptabel ist, und alle reden das dann nach...

VOX IN RANA: Das kritisiert er ja in seiner Erzählung über diesen Oprugac. Über die „Tödlichen Vorschriften“.

BORA-BORA: Ja, exakt. Auch schon wieder so eine Katastrophe, die sich langsam angebahnt hat. De Sade, sagt Stifter immer, wäre die meiste Zeit seines Lebens im Gefängnis oder im Irrenhaus gewesen, fern von Verlag und Publikum. Dort schrieb er. Ein freier Mann also. Wie schön. Der eine sitzt eben im wirklichen Gefängnis und ist frei, der andere sitzt im geistigen Gefängnis, welches durch die Verlage und die Kritiker errichtet und erhalten wird, und ist unfrei. So ist es, und nicht anders.