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DIE FISCH-FILET-FABRIK

 

Eine kühl-blaue Meeresbrise, die sanft dahinfliegenden, wie unruhige Säuglinge quengelnden Möwen im hellen Sonnenschein.

In der Ferne die Hochseeschiffe vor dem einst stolzen Seehafen Rijeka, dahinter die großstädtische Skyline. Dahinter das Gebirge, teilweise noch mit Schnee bedeckt. So erleben sie alle, die aus der Fremde hergekommen sind, an diesem Tag die Kvarner-Bucht.

Er jedoch, der dort drüben sitzt und schon seit dem frühen Vormittag völlig betrunken ins Meer hinausstarrt, und ich, wir wissen, welch grauenvolle Tragödie sich hier vor einiger Zeit ereignet hat. Für ihn dort drüben ist seither alles in ein tiefbläuliches Schwarz getaucht…

Damals begann alles damit, dass von den Fischern im Meer eigenartige Wesen gesichtet wurden: Menschenartige Körper mit Ruderschwanz, grüne Haut, Lungenatmer, breiteres Maul als der Mensch, somit fischartiger Gesichtsausdruck.

Diese Wesen kamen – wie später wissenschaftlich nachgewiesen wurde - in großen Schwärmen vor. Da die Kvarnerbucht schon damals fast völlig leergefischt war, kam sofort der Gedanke auf, diese Wesen zu fangen und zu verwerten. In Ika sollte zu diesem Behufe eine „Fisch-Filet-Fabrik“ errichtet werden. Dies würde die ganze Region wirtschaftlich aufwerten und vor allem Arbeitsplätze schaffen.

Da hierfür im Land selbst das Geld fehlte, wandte man sich an DDr. Karl-Otto Göttinger aus Göttingen, einen westdeutschen Großindustriellen und ehemaligen Kvarner-Urlauber.

Nach Erhalt der wesentlichen Informationen zur Sache, sagte DDr.Göttinger zu und errichtete in der Tat in Ika rasch eine Fisch-Filet-Fabrik in Fertigteil-Bauweise.

Nun erst begann der Bürger-Protest:

Linke Juristen, welche in Rijeka studiert hatten und schon über Jahre arbeitslos waren, verlangten eine neuerliche Untersuchung des Problems. Insbesondere sei zu untersuchen, inwiefern diese Wesen „menschlich“ seien. Gäbe es Anhaltspunkte dafür, dass dem so sei – so war die Stoßrichtung – dann müsse diese Fisch-Filet-Fabrik wieder abgebrochen werden und man müsse in Zukunft vielmehr die „Sprache“ dieser Wesen wissenschaftlich zu verstehen versuchen. Die „Erfahrungen“ dieser Wesen im Meer sollten analysiert werden. Dies könnte der „Menschlichen Zivilisation“ vielleicht ganz allgemein nützlich sein.

DDr. Göttinger schlug umgehend zurück und berief einen „Deutschen und unabhängigen wissenschaftlichen Weisenrat“ ein, welcher von der Hauptstadt und den lokalen Behörden umgehend anerkannt wurde.

Man fing zwei dieser Meeresbewohner – ein Männchen und ein Weibchen – zur objektiven wissenschaftlichen Untersuchung ein und verbrachte diese in dieses große Aquarium in Rijeka.

Der dort drüben, der heute mit betrübter Mine stockbetrunken ins Meer starrt, war derjenige, der nach langen Jahren der Arbeitslosigkeit das Anbot bekam, diese Wesen im Zuge des „Untersuchungs-Prozesses“ bei Tag und bei Nacht zu bewachen. Ein Kollege, der sich bereits auf höchst abscheuliche Weise umgebracht hat, stand ihm bei.

Beide konnten in ihrer jeweiligen Schicht genau beobachten, wie die Frau zunehmend körperlich verfiel, und wie sich das Männchen um diese aufopfernd kümmerte. Sodann schwamm es wieder völlig hilflos im Aquarium hin- und her.

Und eines Nachts starb das Weibchen langsam in den Armen des Männchens. Er konnte es beobachten. Er konnte auch beobachten, wie er den toten Körper sodann in eine Ecke des Aquariums legte und sodann ständig nach irgendeinem Material suchte, mit dem er diesen bedecken könnte. Doch da war nun einmal nichts.

Er richtete sich nun von seinem Wächtertisch auf und ging zur Glasscheibe des Aquariums hin. Da erschien plötzlich das Männchen mit weit aufgerissenen Augen direkt an dieser Glasscheibe und teilte ihm „non-verbal“ – wie er bis heute sagt – etwas mit, was er bis heute nicht in richtige Worte fassen könne.

Jedenfalls sei das damals ein „ganz eigenartiges Gefühl“ gewesen, es sei eine überaus „Heiße Energie“ von seinen Zehenspitzen bis zu seinem Gehirn aufgestiegen. Und er habe damals gespürt, dass das „in Wirklichkeit Menschen sind“. „Menschen anderer Art, aber schließlich Menschen“, wie er dann vor der Untersuchungskommission DDr. Göttingers zu Protokoll gab.

Glaubhafte Zeugen konnten jedoch den Verdacht erhärten, dass dieser Mann schon seit Jahren völlig dem Alkohol verfallen sei. Sein treuer Kneipenwirt - dessen Sohn bei DDr. Göttinger immerhin bereits die Funktion eines „Managers“ innehatte – machte diesbezüglich sogar „quantitative Angaben“. Auch sein Hausarzt machte zum Wohl der Sache freiwillig gewisse Aussagen, welche in anderem Kontext als „höchst unsittlich“ gewertet worden wären.

Letzten Endes: Seine Rede wurde de jure für schlichten „Unsinn“ erklärt.

Sein konkreter Auftraggeber führte sodann in der Folge bei einem privaten Gespräch v.a. ins Treffen, dass man von ihm ganz besonders enttäuscht sei:

Man habe doch geglaubt, dass gerade er, der damals im Krieg in der Herzegowina so ein Lager bewacht hatte, an hilflose Blicke und Gesten gewöhnt sei, also dagegen im Prinzip immun sei. Er habe nun die letzte Chance seines Lebens verspielt, sowohl Lokalbehörde als auch der Staat selbst würden sich nun aus guten Gründen von seiner Person völlig distanzieren. „Mit dieser ‚Linken‘ habe er jedoch“ – darauf legt er, der alte kroatische Sezessions-Soldat noch heute größten Wert – „nie kollaboriert“

Und so gelangte das „Projekt DDr. Göttinger“ schließlich zur Umsetzung:

Draußen am Meer waren fortan diese speziell ausgerüsteten „Göttinger Fang-Schiffe“ zu beobachten, aber auch die einheimischen Fischer waren im Dienst des DDr.Göttinger. Sie fingen aufgrund mangelnder Ausrüstung weniger, dennoch aber konnten aufgrund ihres Fangs ihre Familien ernährt werden. Und es gab nicht wenige, die nach langen Jahren des Defizits damit begannen, ihren „Bank-Kredit“ konkret zurückzubezahlen, d.h. sie strebten tatsächlich in Richtung „Freiheit“.

Wenn ein Fang-Schiff zu nahe an der Küste war, dann waren oft jämmerliche Schreie zu hören, was die Bevölkerung zunächst höchst irritierte.

Behoben wurde dieses Problem letztlich dadurch, dass ein kroatischer Psycho-Soziologe aus Zagreb immer wieder per TV, Zeitung und Internet erklärte, dass das eben zum „Leben“ dazugehöre:

In Slawonien gäbe es so viele Schlachthöfe, und auch dort sei „Geschrei“ zu hören. Dieses Phänomen „Geschrei“ sei zwar in der Kvarner-Bucht in der Tat völlig neu. Doch im Kontext des „Wirtschaftlichen Aufbaus des Staates“ müssten sich die dortigen Bewohner eben daran gewöhnen. Und sie taten es. Schließlich ging es hier um das „Materielle“, also um die „Zukunft“.

Als mein inzwischen klapprig-alter Freund Bosko(geb. in Nis/Serbien, heute offiziell Kroate) – ehemaliger Tito-Partisan - jedoch an diesem Tag seine Enkelin - wie immer - von der Volksschule abholte, und man wie immer an dieser „Fisch-Filet-Fabrik“ vorbeiging, zupfte sie ihn plötzlich heftig an seinem alten Wintermantel fragte:

„Großvater, Großvater, diese Schädel, die dort auf der Müllhalde der Fabrik liegen, die erinnern mich so stark an diesen Schädel, den uns die Lehrerin heute im Fach ‚Biologie‘ gezeigt hat“.

„Das sind keine Menschen, die Deutschen haben deutlich gesagt, dass das keine Menschen sind!

„Merk‘ dir das endgültig - Und jetzt sei still, Dummes Kind“.

„Sonst bringst Du uns noch alle ins Grab“!