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DIE „VERWERTUNG-STHEORIE“ NACH HONZA:
Eher bedächtig hob jener ganz eigenartige Charakter, welcher mir in höchst zweifelhafter Form als „Der Herr Honza“ vorgestellt worden war, das Glas an und ließ sodann das Schwarze Bier auf höchst ordinäre Weise in sich hineinrinnen. Sodann setzte er es ab und dafür dieses verschmitzte Schweinegrinsen wieder auf. Er war inmitten dieser völlig leeren, eher düsteren Gaststube einfach an meinen Tisch gesetzt worden, der eigentlich ‚sein Tisch‘, also Honzas Tisch(!) sei, wie der Wirt zuerst ernst, sodann aber grinsend bemerkte, um sich sofort wieder diskret zu entfernen. In diese düstere Gaststube, in dieses reiche Gebiet Böhmens haben mich meine einträglichen Geschäfte geführt. Draußen begann es langsam zu dämmern und sodann zu regnen. Ich schrieb das beiläufig in mein Notizbuch und trank daraufhin selbst bei meinem Bier. Nach längerer Zeit sagte Herr Honza mit nachdenklichem Gesicht, dass morgen wieder ein schöner, sonniger Herbsttag sein werde. Als ich Herrn Honza daraufhin ins Gesicht sah, konnte ich mir einen solchen „Schönen Tag“ gar nicht mehr richtig vorstellen – Er war eine irgendwie furchtbare Erscheinung… In der Tat dachte ich an die Sonne und an die von ihr beleuchteten Gegenstände, doch alle Szenerien erschienen mir plötzlich als von schwarzem Ruß umhüllt, in eine bedenkliche Melancholie getaucht. Und dies, obwohl der Herr Honza ständig grinste. Sein Gesichtsausdruck war bei näherem Hinsehen völlig unbeschreiblich; eher Zähnefletschen als Grinsen, möchte man sagen. Herrn Honza wurde sodann ein großes Glas Nußschnaps gebracht, das er in zwei Zügen sofort austrank. Ich sagte daraufhin einigermaßen unbeholfen zu ihm, dass „Schwarz“ wohl seine Lieblingsfarbe sei. Dann erzählte er mit gewissem Witz in Mimik und Stimme plötzlich davon, welch‘ grauenvolle Züge das Leben oft habe, dass auch hinter der Fassade eines jeden hellen Sonnentages nur immer das Grauen lauere. Morgen würden die Leute wieder in ihren Gärten arbeiten, und mit größter Gier alles verwerten, wie er sagte. Wie die Affen würden sie an ihren Bäumen hängen, und alles zusammenraffen, was sie in ihre Pratzen – wie er sagte – erreichen könnten. Er sei da ganz anders: Ein- bis zwei Zwetschgen vom Baum herunter während eines Spaziergangs, ein Apfel dort oder da eine Birne. Ein Schlückchen Wein von einem freundlichen Bauern gereicht, dem er beim Trunk die letzten Neuigkeiten mitteilen würde. Das reiche ihm schon. Er sei ja genügsam, wäre gar nicht fähig zur Raff-Gier. Er hätte gelernt, die Schöpfung zu achten, betonte Honza. Zur „Verwertung“ gezwungen sei Herr Honza nur einmal wirklich gewesen: Nachdem vor Jahren einmal der „Böhmische Quargel“ schlecht geraten war, und eine Vielzahl von Leuten krankmachte, hätte er sich ein paar Rollen von seinem Cousin aus Bayern per Post schicken lassen. Honza: „Dieses Zeugs war nicht zu essen. Innen ewig so krümelig, wie’s unsereins eben nicht gewöhnt ist. Eine Zumutung! Aber von unserem Quargel wurden die Leute eben krank, und so hatte auch ich Angst. Heute denke ich, dass ich nie krank geworden wäre – Quargel, Bier und dann viel Schnaps. Da kann ja eigentlich nichts Böses aufkommen! Ich glaube, dass damals ohnehin vor allem die Kinder gestorben sind. Na, und ich saß auf diesem bayerischen Quargel. Nicht einmal mein Hund rührte ihn an! So kam ich auf die Idee, ihn an die heiligen Fische, Enten und Schwäne im Hofgartenteich unseres ehrwürdigen Stiftes zu verfüttern. Ich schnitt ihn also zuhause in kleine Stücke, verpackte ihn notdürftig und wanderte dann zum Teich hin. Das erste Stück verschlang ein Schwan und stutzte aufgrund des fremdlichen Geschmacks. Intensiv atmete er laut ein- und aus. Normalerweise wird hier ja nur Brot verfüttert. Das nächste Stück lehnte er ab. Auch die Fische kamen nun in Scharen herbei, allerdings voller Skepsis. Da Quargel im Gegensatz zu Brot schwerer als Wasser ist, ergab es sich, dass einige Stücke, welche zuerst abgelehnt wurden, zu Boden sanken. Lustigerweise trat nun eine Ente in Aktion, welche sich als hervorragende Taucherin erwies: Wie ein großer Wasserkäfer grundelte sie dahin und holte ein Stück Quargel nach dem andern herauf. Demjenigen, der nur Brot füttert, bleibt diese Technik verborgen! Schließlich aber kamen alle heiligen Tiere des Hofgartenteichs so richtig auf den Geschmack und es entwickelte sich ein schön anzusehender Schmaus. Da diese Tiere eben heilig sind, hoffe ich, durch diese großzügige Quargel-Ausspeisung etwas für mein Seelenheil getan zu haben. Wenn dem so ist – ich werde es erleben - , dann hätte ich den Quargel ja ganz optimal verwertet – nicht wahr ?!“ Herr Honza grinste zunächst verschmitzt und trank sodann gleich bei seinem Bier. Das war in der Tat die absurdeste und tragikomischste Erzählung, welche ich in meinem Leben je gehört hatte! Einfach völlig krank. Irgendwie doch unterhaltsam, dennoch aber völlig krank… Und dann begann Herr Honza ganz unvermittelt über einen gewissen Apfel-Bauern der Gegend zu berichten, welcher durch seinen Verwertungs-Zwang zum Witwer geworden sei. Da es draußen schon stockfinster war, spielte ich längst mit dem Gedanken, mir in diesem Gasthof ein Zimmer zu nehmen. Obwohl ich den Herrn Honza als völlig verschrobenen Spinner betrachtete, hörte ich ihm aus unerklärlichem Grund doch gerne zu. „Bittschön, Gnädiger Herr,“, sagte der Wirt auf mein Verlangen hin, und übergab mir den Schlüssel. Ich war wohl seit längerer Zeit der einzige Gast in diesem zweifelhaften Etablissement. Honza ließ sich durch diesen Vorgang kaum unterbrechen und kam nun in noch geschwätzigerer Weise auf den Kern der Sache mit diesem Apfel-Bauern hin: Dieser Apfel-Bauer hätte also eine Mißernte erlitten und aus den schadhaften Äpfeln einen sogenannten „Calvados“ gebrannt, um also die Äpfel letzten Endes doch noch zu verwerten. Ein „Allgemein-Großes Ereignis“ sei diese „Intelligenz-Leistung“ des Apfelbauers gewesen. Seine Frau wurde daraufhin zur echten Calvados-Liebhaberin, trank nach jedem Mittagsmahl einen guten Schluck; sodann aber später – durch schlaue Medizin-Zeitschriften der Zeit belehrt(!) – gleich nach dem Frühstück ein Viertel. So wurde sie leider – obwohl offiziell der „Gesundheit“ verpflichtet – zur haltlosen Alkoholikerin und sie trank genauso lange, bis ihr denn jeden Nachmittag eine ganz übel glänzende, schwarze Spinne erschien, welche sie zuerst vergewaltigte und dann eifrig einwob. Im Kreiskrankenhaus sollte sie durch die Ärzte einst mittels „Nerven-Tabletten“, wie Honza sich ausdrückte, „stillgelegt“ werden, doch immer wäre sie unruhig geblieben; in ihren Tag- und Nachtträumen wäre immerzu diese „Schwarze, glänzende Spinne“ präsent gewesen. Sie wäre schließlich im Zuge so eines – für dieses Krankheitsstadium typischen - nasskalten Fiebertraumes abrupt entschwunden. Ihr letzter Laut sei ein höchst grässliches Schluchzen gewesen. Noch heute würde man im Kreiskrankenhaus zur Kaffeestunde darüber sprechen. „Naja“, sagte Honza, das gehört halt auch zu dieser ‚Allgemeinen Geschichte der Verwertung‘“. Ihr Mann sei heute arm und verlassen und saufe mittlerweile selber. „Doch ein Mann verträgt ja mehr als eine Frau“, sagte Honza sodann irgendwie höchst geschmacklos. Ich schwieg. Honza trank sein Schwarzbier in zwei Zügen aus und bestellte lauthals ein neues Glas. Der Wirt reagierte, wie ein Wirt eben so reagiert… „Das ist eben die Provinz“, dachte ich. Herr Honza setzte nun zu einer neuen Erzählung an. Ich wollte schon gehen, doch aus welchem Grund? Also bestellte ich einen Schnaps. Honza erzählte nun von einem reichen Goldschmied der Stadt, welcher einen über-großen Nuss-Baum im Garten besitze. Jeden Herbst hätte er jede Nuss eigenhändig aufgesammelt. Dem Igel sei nichts geblieben. Wahrscheinlich sei dieser daraufhin samt seiner Familie jämmerlich eingegangen… Doch immer wieder würden sich Igel im Garten des Goldschmieds finden. Wahrscheinlich würden diese schon im Sommer durch den Duft den Nussbaums angezogen… Honza legte sich hier nicht zu 100% fest! „Also die Nüsse in die Speis‘, gut trocknen, dann vor Weihnachten aufmachen“, sagte Honza. „Das ist bei uns Sitte. Oft gibt es dann schon im Spätherbst guten Nußstrudel“. Der Goldschmied aber hätte – so Honza – seine im letzten Hochsommer geehelichte, neue Frau – geboren in Prag - geradezu dazu genötigt, schon vor dem Spätherbst zahlreiche „Nuss-Strudeln“ anzufertigen, woraufhin sie sich von ihm scheiden ließ und dieser Grund vom Gericht sogar zu 100% anerkannt worden sei. Sie zog zurück nach Prag und wurde Malerin, fortan bezog sie vom Goldschmied eine ansehnliche Leibrente. Alles änderte sich jedoch relativ schnell, als ihr Mann abends daranging, die Nüsse selbst zu verwerten. Zahlreiche Nüsse machte er problemlos mit der Nuss-Zange auf, warf dann das Gute dorthin, das Schlechte dahin. Das ging eine Zeit lang gut. Er verkaufte das Innere seiner Nüsse – natürlich unter Preis – an die ansässige Konditorei. Doch plötzlich fuhr ihm beim Nuss-Aufmachen ein Splitter einer Nuss-Schale ins Auge. Dieses war sodann – trotz intensiver Bemühungen der Ärzte im Kreiskrankenhaus - nicht mehr zu retten, er konnte seinen Beruf nicht mehr vollständig ausüben und erhängte sich kurz darauf in seiner Speisekammer mit einem modernen, teuren Nylonseil. „Von uns einfachen Leuten hätte sich sowas niemand leisten können“, hob Honza mit bedächtig erhobenem Zeigefinger hervor. Nach Honza hätte er zuvor im Wirtshaus noch mit betrübt-trübem Blick erzählt, dass er mit nur einem Auge kein „Echter Goldschmied“ mehr sein könne und sich nun aufhängen werde. „Doch niemand glaubte das damals“, sagte Honza. „Ich selbst war Zeuge“. Honza trank bei seinem Bier und lud mich zu einem doppelten Nuss-Schnaps ein. Der Wirt entsprach diesem Wunsch mit jener klassischen Gelassenheit, welche für seinen Berufsstand typisch ist. Man prostete sich zu und trank. Sodann begann Herr Honza umgehend von einem Mann der Gegend zu erzählen, der auch noch die obersten, süßesten Zwetschgen seines Baumes verwerten wollte und dabei abstürzte. „Tot?“, fragte ich bereits leicht betrunken. Honza schüttelte grinsend den Kopf… Wochenlang habe der arme Kerl nach seinem Absturz im Kreiskrankenhaus gelegen, sei sodann noch ein ganzes Jahr völlig gelähmt gewesen. Als aber dann das Gefühl wieder in seinen Körper eindrang, verspürte er nach und nach auch entsetzlichste Schmerzen. Auf Krücken gestützt und mittels Nerven-Tabletten betäubt sei er durch die Gassen gezogen, am Schluss nur noch wie so ein schwarzer Schatten… Er, der Herr Honza, habe ihm zuletzt noch Mut zusprechen wollen, doch er wandte seinen nassen Tränenblick langsam ab, betrachtete den Boden und schüttelte sodann langsam den Kopf. Das habe fast schon mechanisch gewirkt, sagte Honza, bevor er einen tiefen Schluck aus seinem Bierkrug nahm. Ich musste Herrn Honza gar nicht erst bitten, mir das Ende der Geschichte zu erzählen: Der arme Kerl habe schließlich seine Schrotflinte abgesägt, seinen alten Wanderrucksack mit Steinen angefüllt, die Schultergurte desselben mittels fester Schnur miteinander verknüpft. Sodann wäre er zum Fluß gegangen - Er begab sich hinter das Brückengeländer, hielt sich mit der einen Hand fest, mit der anderen Hand führte er die Schrotflinte zum Mund, drückte ab und fiel sodann rücklings wie ein Sack ins Wasser. Die Steine zogen ihn sofort auf den Grund hinab. Die zusammengebundenen Schultergurte des Rucksacks würden ihn nie wieder hochkommen lassen. Er wollte, so Honza, offenbar nicht als aufgedunsene Wasserleiche aufgefunden werden. „Sie haben ihn dann aber weiter drunten an einer seichten Stelle doch gefunden. Er war total aufgedunsen und soll fürchterlich gestunken haben“, sagte Honza. Und er fügte hinzu: „Tragisch – Also wenn das nicht tragisch ist, was dann?!“ „Und das alles wegen so ein paar Zwetschgen!“, sagte er dann einigermaßen laut, und tippte sich – zum Wirt hinüberblickend - mit dem Zeigefinger der rechten Hand mehrmals mitten auf die Stirn. Der Wirt stand mit herabhängendem Schnurrbart und ernstem Blick an der Schank und trocknete mit schmutzigem Tuch gerade ein Bierglas ab.
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