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PROFESSOR MAREK:
„KELLNERIN DES CAFÉ IMPERIAL IN PRIVATWOHNUNG BRUTAL ERMORDET!“ (Schlagzeile der „Prager Zeitung“ v. 07.05.13)
Der junge Student Moll schaute eher gelangweilt aus dem Fenster der Universitätsbibliothek und erblickte plötzlich die edle Gestalt des berühmten o.Univ.-Prof. Dr. Karel Marek – Eine klassische Professorengestalt mit erhabener Stirn, kleinem Schnauzer, Gehstock und-so-fort. „69 Jahre auf dem Buckel, jedoch gut 20 Jahre jünger aussehend“, dachte sich der junge Student Moll. Nächstes Jahr würde er pensioniert werden, jedoch dann noch weiterdozieren, hatte Moll gehört. Der junge Student Moll hatte schon letztes Jahr eine Mareksche Vorlesungsstunde besucht und diese heimlich auf Band aufgenommen. Doch er hatte sich nicht getraut, mit dem großen Professor, der immerhin auch bereits in Amerika(!) gelesen hatte, in Kontakt zu treten. Vor dem Besuch einer gesamten Marekschen Vorlesung und vor allem vor einem anschließenden Prüfungsgespräch schreckte der junge Student Moll ohnehin total zurück. Prof. Marek – als ehemaliger Jesuitenschüler mit allerbesten rhetorischen Fähigkeiten ausgestattet - war in dieser auf Band aufgenommenen Vorlesungsstunde für Moll wie ein Künstler, wie ein Opernsänger. Jeden Abend hörte sich Moll dieses Band an; obwohl er es längst auswendig konnte. Und nun, in der Universitätsbibliothek dachte er an diese eine Stelle, wo Marek ausführte: „Innerhalb der vom genetischen Spezies-Typ auf der einen und vom Kultur-Prozess auf der anderen Seite gesetzten Grenzen liegt die Chance für gegebene Individuen und Gruppen, unabhängige Verhaltenssysteme zu entwickeln. Weil ein Handelnder genetisch menschlich ist und weil seine Erfahrungen und Erkenntnisse sich im Kontext eines bestimmten kulturellen Systems entwickeln, hat sein erlerntes Verhaltens-System bestimmte allgemeine Merkmale mit andern Persönlichkeiten gemein, z.B. die Sprache, die er gewohnheitsmäßig spricht“. Doch Moll brach diese Träumerei bald ab, musste er sich doch beeilen, seine Exzerpte zur „Assimilationstheorie nach F.J. Pertiller“ zusammenzustellen. Schon morgen musste er darüber referieren. So vertiefte er sich wieder für mehrere Stunden ins Schrifttum. Im Lauf der Zeit wurde er immer erschöpfter und unaufmerksamer. Nur dadurch konnte es geschehen, dass er im Lesesaal ein leises Gespräch unter schon älteren Studenten mit anhören konnte: Prof. Marek im „Café Imperial“ tot zusammengebrochen… Moll suchte erst gar nicht das Gespräch mit diesen älteren Kommilitonen, sondern packte zusammen, verließ die Universitätsbibliothek und eilte zum Café Imperial hin. Dort diese aufgetakelte, letztlich völlig ordinär aussehende Kellnerin, welche – wie Moll auf sein nervöses Fragen hin bald vom Chef persönlich erfuhr - Prof. Marek zuletzt bedient hatte. Er ging auf sie zu und noch bevor er ein Wort sagen konnte, sagte sie mit leicht sadistischem Genuss: „Ich hab‘ jetzt Dienstschluss, junger Mann.“ Sie drehte sich um und ging weg, um sich umzuziehen. Moll rief ihr noch nach, dass er ein Anliegen bezüglich Professor Marek habe, ging ihr nicht nach, da ihm sein Vater immer gesagt hatte, dass man Damen nun einmal nicht nachgeht, wenn sich diese umziehen wollen. So entschloss sich Moll dazu, eben noch ein wenig zu warten. Anstatt den Hinterausgang zu benutzen, trat die Kellnerin sodann in höchst schicker Zivilkleidung und ganz neu parfümiert auf Moll zu und lud ihn lächelnd dazu ein, sie bis zur Tramstation zu begleiten. Er willigte ein und fragte sofort, wie denn alles passiert sei. Professor Marek habe – so erzählte sie - wie immer schweigend auf seinem Stammplatz gesessen und einen „Grossen Braunen“ getrunken. Dann sei er ganz plötzlich zusammengesunken. Der Arzt hätte gesagt „Sofort tot“. Sie habe das alles genau gesehen, habe gerade in seiner unmittelbaren Nähe gestanden und er hätte noch einen Augenblick vor dem Zusammenbruch mit ihr ganz kurz geredet; für ihn völlig untypisch - Seit sie ihn kenne, habe er im Café immer nur geschwiegen, immer nur das Allernotwendigste gesagt. „Völlig untypisch“, sagte sie nochmals. Man hatte inzwischen die Station erreicht und auch die Tram war schon in Sichtweite. Diese „letzten Worte“ des Professor Marek, dieses Genies von Weltgeltung(!), musste Moll um jeden Preis erfahren. Er starrte nervös auf ihren roten Mund, als sie schließlich sagte: „Na, der hat mich eigentlich nur gefragt, ob unsere ‚Apfel-Schlangerln‘ zur Familie der ‚Reptilien‘ gehören“. Und sie begann ganz plötzlich heftig zu lachen. Die Tram hielt an, sie stieg ein, wünschte noch einen „Schönen Tag“ und fuhr davon. Moll war völlig erschüttert. Er stand noch eine Zeit lang völlig erstarrt an dieser Tram-Haltestelle und stammelte schließlich vor sich hin: „Niemand darf das je erfahren, das darf niemand je erfahren…“.
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