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  „DER VERRÜCKTE GLÖCKNER VON LEONFELDEN“…

Vorgeschichte einer Liquidation

 

Am Freitag, den 13. d.M(= i.d. Originalquelle „dem“), also – ganz präzise gesagt –  drei Tage nach Kriegsausbruch, betrat der berühmte Kunst- und Kulturkritiker Kons. DDr. Kofler den Behandlungsraum des Allgemeinmediziners Dr. Vigneto in Beli Monastir/Ostriki Gor. mit besorgtem Blick:

Diffuse Beschwerden hätten sich eingeschlichen, sagte Kofler nach knapper Begrüßung. Besonders diese Skandale, welche er in Ostriki Gor. zuletzt – in geistesverwirrt-alkoholisiertem Zustand im Hause Mostar Antonin provoziert hatte – würden ihn belasten.

Dr. Vigneto hörte zu, mit seiner charakteristischen Pose im Gesicht, allein an sich selbst interessiert, den Tod als „natürliche Folge allen Lebens“ betrachtend. Leicht autistisch, vielleicht sogar ein wenig schizoid, all das jedoch kaschierend unter dem Titel „Sachlichkeit“.

Kofler hatte in der Tat im Hause Mostar Antonin vor Journalisten die Universität von Legnitz/Dun. als „Konzentrations-Lager“ vor den Toren der Stadt bezeichnet, wo sich ein normaler Mensch niemals „konzentrieren“ könne, sondern nur stumpfsinnige Jung-Katholiken als „Dumpfe Auswendiglern-Maschinen“, funktionierend wie die Hämmer des Stahlwerks drunten an der Duna, einst aufgewachsen zwischen Kachelofen und Kuhstall des von Fäkalgeruch umgebenen heimatlichen Hofes.

Und er bereute im Nachhinein nur seine völlige Trunkenheit und hätte lieber alles im nüchternen Zustand gesagt, und es war gerade das, was ihn sodann in höchste Besorgnis versetzte, da er hier einen „Abnabelungs-Prozess“ von Ostriki Gor. verortete, dessen hauptsächliches Opfer ja er sein würde, obwohl er ja der Provocateur, also der Täter sei.

Schon kurz nach seiner Aussage zur Universität von Legnitz, bestieg Kofler unmittelbar nach dem Vortrag „Stifters Waldbezug“(Kronlachner) die Rednerbühne, setzte erneut zur betrunkenen Rede an, und stellte die Frage in den Raum:

„Was ist eine Klangwolke“?

Dann drehte er sich um, beugte sich nach vorn, streckte seine Zunge ein wenig heraus, blies dagegen und imitierte somit einen gelinden Furz.

Während er vom Legnitzer Sicherheitsdienst abtransportiert wurde, tat er noch kund, dass der Name „Ars Electronica“ auf einen orthographischen Fehler zurückgehe, und eigentlich „Die Arsch-Elektroniker der JKU“ gemeint seien. Aber heute sei ja eben die Fähigkeit zum korrekten Schreiben kein „Einstellungs-Kriterium“ mehr. Überhaupt seien die Bewohner von Legnitz allesamt derart blöd, dass sie es akzeptieren würden, wenn man ihnen „Scheißhaus-Wasser“ als „Glühbirnen-Schnaps“ verkaufen würde.

Seinen ersten Doktortitel hatte Kofler damals in Griech. Weissenburg erlangt, der zweite Doktortitel war ein „h.c.“ der JKU, „Konsulent“ war ein Titel, der ihm der Vojvod von Ostriki Gor. verliehen hatte. Letztere Titel sollten ihm nun entzogen werden, als Kofler den Dr. Vigneto aufsuchte, waren beide Verfahren bereits im Laufen.

Kofler sah sich gesundheitlich belastet durch: Schlaflosigkeit, Verstopfung, Schwindel, Depression, Gelenksschmerzen usf. und brachte dies sofort gegenüber Dr. Vigneto vor.

Dieser sagte unmittelbar nach Koflers Vortrag – und es schien so, als sei er plötzlich aus tiefem Schlaf, um nicht zu sagen „Bewusst-Losigkeit“(!) erwacht – dass man eben eine Blutprobe nehmen werde. Kofler stimmte zu und so bereitete Dr. Vigneto alles dafür vor.

Als Dr. Vigneto zustach, tat Kofler kund, dass er den Eindruck habe, dass sein ganzer Körper von einem „Verrückten Glöckner“ beherrscht sei, von genauso einem verrückten Glöckner, wie er in Stifters Erzählung „Der verrückte Glöckner von Leonfelden“ vorkomme, eine Arbeit, die er noch im Jahre 1868 – also in bereits todkrankem Zustand(!) – geschrieben hatte, vielmehr seinem Adlatus vom Bett aus diktiert hätte, wie eine schriftliche Quelle sagt.

„Ein Poe-Stoff. Ein Poe-Stoff, verstehen sie“?, sagte Kofler zu Dr. Vigneto, welcher dreimal nickte. Und es sei in der Tat sehr bemerkenswert, dass Stifter diesen Poe-Stoff übernommen habe, wo er doch ansonsten nie Poe-Stoff übernommen habe, ja, die US-amerikanische Literaturszene überhaupt nicht gekannt habe. Zumindest offiziell nicht.

„Auch Geschichte und Gegenwart“, sagte Kofler zu Dr. Vigneto, „die gesamte Weltlage, überhaupt der Gang der Geschichte, nicht wahr, alles ist doch nur von so einem verrückten, also unberechenbaren Glöckner beherrscht, der um 13:00h fünfmal läutet und um 17:00h dreimal, undsofort. Verstehen sie? Ja? Dabei sollte ein Glöckner normal sein und dem Menschen Orientierung geben. Ja, sowas gibt es. Umsonst sagt man ja nicht ‚jetzt schlägts Dreizehn‘, nicht wahr“? 

Mit konzentrierter Miene achtete Dr. Vigneto darauf, dass das Blut Koflers günstig in das medizinische Gefäß tropfte.

Dr. Vigneto schien – und sein nicht abzustreitender Autismus beförderte den Eindruck – die Augen eines Heiligen zu besitzen. Zwei britannische Perlen, die Caesar seiner Cleopatra zum Geschenk gemacht haben soll, aufgelegt auf dem Hemd eines Engels. Kofler erschien er nun aber ganz plötzlich als Weißer Hai, als knopfäugiger Killer in seinem Element. Allerdings nur kurzzeitig, denn eine Wolke trat vor die Sonne, verdunkelte die gesamte Szene, so auch die Augenhöhlen Dr. Vignetos, an deren Ende scharfe Augen, weshalb er Knofler plötzlich als Wolf erschien, doch die Wolke gab die Sonne schon nach kurzer Zeit wieder frei.

„Na, mein kleiner Vampir“?, sagte Kofler zu Dr. Vigneto nach dem Procedere, welcher auf diesen Außen-Reiz hin mit leichtem Grinsen reagierte und sagte: „Befund in einer Woche“. Und die Hand zum Abschiedsgruß ward schon ausgestreckt.

Drei Tage später, also am 16. d.M. erschien – wie schon seit einem Jahr geplant – die am Ende ihres Medizinstudiums stehende und gerade aus Afrika zurückgekehrte Frau Ack, Ulla(geb. in Lorbersdorf) bei Dr. Vigneto, welcher ihr schon unsympathisch war, als sie zum ersten Mal ein Foto von ihm sah. Seine Behinderung bzw. „emotionale Verstümmeltheit“(s. Akt III/1a-b/233455 „Ack“) war nicht zu ignorieren.

Dr. Vigneto: Autist, schon früh im Besitz einer Vollglatze, der Kranz rundherum färbte sich bald weiß, dann noch Brillenträger, weil seine Augen keine Kontaktlinsen vertrugen. Hochgewachsen, aber nicht athletisch, sondern hühnerbrüstig und gebeugt. Trotzdem verheiratet. Er sprach mit Ack nicht viel, forcierte also von vorn herein keine „Menschliche Wärme“.

Nach diesem Aufenthalt bei ihm würde sie dann „Dr.“ werden, und sich das erfüllen, was ihr in Afrika ein junger Eingeborener im Drogenrausch lachend prophezeit hatte: Dr. Ack Ulla = Dracula. Und darauf kam er eigentlich nur, weil er einst durch einen protestentischen Missionar in den Besitz dieses Buches von Stoker gekommen war und dieses eingehend studiert hatte. Sein Witz fußte also einerseits auf Wissen, andererseits auf Rausch, wie wir das z.B. auch von Sigmund Freud kennen. Frau Ulla lachte dazu.

Als der Eingeborene dann aber auch noch sagte, dass die Europäer schon immer „Die Vampire Afrikas“ gewesen seien, schwieg sie kühl. Alles war nur darauf zurückzuführen, dass er von obgenanntem Missionar auch Einblick in die „Welt-Enzyklopädie“ der „Londoner wissenschaftlichen Gesellschaft“ alias „Scientific Community of London(SCL) bekommen hatte.

Eigentlich wollte Frau Ack „Modedesignerin“ werden, doch ihr Nenn-Onkel Delnicer aus St. Veit/F. hatte schon immer zu ihr gesagt, dass sie Ärztin werden solle, denn sie würde sofort nach dem Studium gut verdienen, vor allem aber keinerlei Verantwortung haben. Sie würde als Modedesignerin vielleicht überhaupt nie etwas verdienen, als Ärztin aber sofort, hatte Onkel Delnicer immer gesagt, der immer größten Genuss dabei empfunden hatte, beim Würstelstand am Hauptplatz von St. Veit/F. in der Gegenwart von Frauen seine kaltgewordene Krainerwurst in Senf einzutunken, um diesen sodann grinsend abzulecken.

Es war Wochenende und Frau Ack hatte zuviel getrunken, als sie auf ihrem Computer das offizielle Foto von Dr. Vigneto herausschnitt, mit einem Corpus versah und ihn ständig neu einkleidete und stylte. Dr. Vigneto in Leder, mit Frack, mit Kaiser Franz Joseph-Bart und ohne, lange schwarze Haare, kurze blonde Haare. Sogar einen Schnauzbart verabreichte sie ihm lachend.

Doch alles half nichts, nicht einmal die „Stoderer Lederhose“. Da erschien alles als verloren, Ack trank zwei Viertel Wodka, wartete ein wenig, und kotzte sich dann „zur Schonung ihrer Organe“ restlos aus.

Kons. DDr. Kofler erschien pünktlich zum vereinbarten Termin, und betrat schließlich den Behandlungsraum von Dr. Vigneto, wo auch Frau Ack saß. Schweigend.

Dr. Vigneto hob beim Vortrag zu seinen Blutwerten gewisse Widersprüchlichkeiten bzw. Un-Regelmässigkeiten hervor, woraufhin Kofler sich sofort in seiner Hypothese bestätigt sah, dass in seinem Körper ein „Verrückter Glöckner“ umgehe, der sozusagen – wie er ja schon gesagt habe – um sieben achtmal und zu Mittag dreizehnmal läute.

Und Kofler wiederholte nun erneut seine These, dass auch die „Weltlage“, überhaupt der „Gang der Geschichte“ von so einem „verrückten Glöckner“ beherrscht sei. Es sei eben alles so, wie Stifter es noch 1868 in seiner Erzählung „Der verrückte Glöckner von Leonfelden“ geschildert habe.

Frau Ack sah in ihm zunächst nur einen Geisteskranken, erinnerte sich dann aber daran, dass sie Kofler einst im Fernsehen gesehen habe, nämlich beim Bericht zum Jubiläum „100 Jahre Klangwolke“. So nickte sie ihm schließlich freundlich zu.

„Diese Stifter-Erzählung fußt doch auf einem Poe-Stoff, nicht“?, sagte Dr. Vigneto ganz plötzlich und – ja, man muss es in den Raum stellen – fast raubtierhaft.

Da wurde Frau Ack ganz plötzlich von einer Art Blitz durchfahren und ihre Augen wurden nass. Dr. Vigneto war also „Intellektueller“(!). Das habe sie ja nicht wissen können. Dr. Vigneto lese offenbar nicht nur, sondern er besitzt ganz offensichtlich auch intellektuelles Hintergrund-Wissen. Und Kissinger habe ja immerhin schon immer gesagt, dass „Macht“ ein „Aphrodisiakum“ sei, gleichwohl worauf diese „Macht“ beruhe. Oder so ähnlich.

Dr. Vigneto bemerkte den inneren Zustand von Ulla sofort und es gibt ja diese Theorie, dass so etwas für manche Menschen vor allem durch „subtile Körpergerüche“(!) wahrnehmbar ist, sofern sie in ihren Geweben nur mit einem „wölfisch-animalischem Moment“ ausgestattet sind.

Dr. Vigneto lud Ulla dann bei Dienstschluss kurzerhand zu einem „Schwätzchen“ in seinem Haus am Kieselberg ein. Seine Frau habe katholische Chorprobe, sie möge das doch bitte entschuldigen. Danach würde seine Frau mit ihren Freundinnen noch zum „Ochsen-Wirt“ gehen, und wohl spät heimkommen. Ulla war schlicht fasziniert von solcher „Männlichkeit“, die ihr entgegentrat wie eine „Spitze Waffe“, keine Rede war von performativer Vertuschung dessen, was Dr. Vigneto wollte. „Männliche Unsicherheit“ war ihr ja schon immer widerwärtig gewesen.

So fand sich Ulla zum verabredeten Zeitpunkt am Kieselberg ein und sie bemerkte, dass es gerade dunkel wurde, Dr. Vigneto also – wegen der Nachbarn – die Rolle eines „Kühlen Strategen“ erfüllte, nach dem Muster Alexanders oder Caesars.

Dr. Vignetos Haus war weiß, dreistöckig und besaß ein Flachdach, und alles erinnerte sie an einen Western-Plot a la Sergio Leone.

Dr. Vigneto öffnete und war nur mit einem alpenländischen Schlafmantel bekleidet. Die Diele war weitläufig gestaltet, oben eine Holzdecke in reinstem Tiroler Stil. An den Wänden zahlreiche Gemälde mit Waidmanns-Szenen.

Er führte sie zügig einen Raum weiter, wo sich eine große Schwimmhalle befand, doch war das Becken nicht mit Wasser, sondern bunten Bällen angefüllt.

Es gab eine kleine Jause, bestehend aus Schaumrollen und warmer Schokomilch, gemischt mit Whiskey. Dann ging er zurück zum Trampolin, zog den Bademantel aus, wartete ein wenig und sprang dann in das Becken hinein. Grinsend tauchte er auf und bemerkte, dass Ulla bereits nackt war.

So kam es schließlich zu einem Koitus, mit dessen Details man den Leser nicht unnötig belasten will.

Frau Dr. Vigneto kam sodann heim, und erblickte ihren Mann, wie er in seinem alpenändischen Bademantel mit größtem Frohsinn bunte Bälle jonglierte.

Frau Ack lag bereits zuhause im Bett und dachte an diesen schönen Abend zurück. Bald schlief sie ein.

Bald darauf wurde Frau Ack schwanger und es stellte sich heraus, dass sie Dr. Vigneto mit AIDS infiziert hatte. Diese Krankheit hatte sie sich bei ihrem Afrika-Aufenthalt zugezogen.

Dr. Vigneto wollte den Vorfall noch vertuschen, was Frau Ack allerdings nicht zuließ. Immerhin stand ihr guter Name auf dem Spiel.

Frau Dr. Vigneto erlitt daraufhin einen „Nerven-Zusammenbruch“. Nach der Wiedererlangung ihrer Handlungsfähigkeit wurde der Fall durch intensive Befragungen restlos(!) geklärt.

Kofler schrieb in seiner Wohnung gerade an seinem sozialkritischen Roman „Höller am Hohlweg“, als es draußen läutete:

Vor der Tür stand Frau Dr. Vigneto und zielte mit einem Revolver auf ihn.

„Sie haben unser Familienglück zerstört“, sagte sie weinerlich und ihr Kinn zuckte mehrmals.