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>> SERBISCHE EISENBAHNEN.

 

I: Zum Problem des serbischen Territoriums.

Serbien hat seine territoriale Struktur - wie noch gezeigt werden wird - im Lauf der Geschichte mehrmals verändert. Unter Tito wurde es in drei Bereiche gegliedert, nämlich a) Das engere Serbien, b) Wojwodina, c) Kosovo(= Amselfeld-Region). Diese Einteilung besitzt bis heute grundsätzliche Gültigkeit. Das Krisengebiet Kosovo wird allerdings schon seit Jahren durch UN-Truppen besetzt gehalten. Über die weitere politische Zukunft wird diskutiert.

Der serbische Staat heute:

Copyright: Elmar Oberegger

Vom Januar 2003 bis zum Mai 2006 bildete Serbien gemeinsam mit Montenegro einen Staaten-Bund unter den Titel „Srbija i Crna Gora“(= SCG) aus.

 

II: Netz und Geographie.

Das Eisenbahnnetz Serbiens wird heute von zwei Unternehmungen betrieben, nämlich von den „Zeleznice Srbije“(ZS) und den „Railways of Kosovo“(RoK).

Das serbische Netz:

Nach: Kursbuch 07

In geographischer Hinsicht ist zu bemerken, daß das Gelände im Norden eher unproblematisch ist, während sich im Süden eine weitläufige Gebirgsbarriere befindet. Bereits im Stadtgebiet von Beograd wird die Eisenbahn mehrmals gezwungen, den Weg durch den Tunnel zu nehmen. Diese Barriere zögerte die Herstellung einer direkten Linie zwischen Beograd und der Adria lange hinaus. Erst bis 1976 konnte die „Beograd-Bar-Bahn“ eröffnet werden, deren Errichtung fast 25 Jahre dauerte.

Beograd: Nachts in der City(2006).

Copyright: Elmar Oberegger

Die (naheliegende) Idee, den griechischen Hafen Thessaloniki in Anspruch zu nehmen, kam übrigens bereits früh auf. Ein tragfähiges Konzept konnte jedoch in der Folge nicht entwickelt werden. Im April 1914 wurde das erste entsprechende Abkommen geschlossen. In verkehrsmäßiger bzw. technischer Hinsicht war dieses Modell angesichts günstig verlaufender Fluß-Täler(Morava, Nisana u.a.) und bereits existierender Eisenbahnen vorteilhaft. Obwohl dieser serbische Kontakt zu Thessaloniki im Grunde bis heute besteht, so war er aus politischen Gründen nie von wirklich großer Bedeutung(Anteil Jugoslawiens am Gesamt-Warenverkehr 1966: ca. 18 %).

 

III: Die Anfänge des serbischen Eisenbahnnetzes(1884-1914).

Im Zuge des „Berliner Kongresses“(1878) wurde Serbien zum unabhängigen Staat.

Der erste serbische Staat(1878):

Copyright: Elmar Oberegger

Der Zweck dieses Kongresses bestand grundsätzlich darin, die anstehenden politischen Probleme am Balkan zu lösen. Damit hing natürlich auch die Eisenbahnfrage eng zusammen. Aus der Perspektive der westlichen Großmächte kam u.a. dem neuen serbischen Staat eine Schlüsselfunktion hinsichtlich der eisenbahnmäßigen Erreichung von Istanbul und des ägäischen Raumes zu.

Serbien wurde schließlich dazu verpflichtet, folgende Linien zu errichten:

1) Beograd-Nis.

2) Nis-Staatsgrenze bei Pirot.

3) Nis-Vranja.

4) Vranja-Ristovac.

Im Jahre 1881 wurde ein Vertrag zwischen Serbien und der französischen Bau- und Betriebsgesellschaft „Union générale“ geschlossen, welcher die Gründung einer Aktiengesellschaft namens „Compagnie de Construction et Exploitation des Chemins de fer de l’Etat Serbe“ vorsah. Doch Anfang des Jahres 1882 mußte diese Konkurs anmelden. Daraufhin gründeten die österreichische Länderbank und das „Comptoir d’Escompte“ in Paris eine neue Gesellschaft, deren Name mit der untergegangenen Gesellschaft ungefähr ident war.

Bis zum Jahr 1884 konnte die Linie von Beograd nach Nis fertiggestellt werden, es folgten die Linien Nis-Ristovac(1886) und Nis-Pirot-Caribrod(Dimitrovgrad)(1887).

Interessant ist, daß sich Serbien von vorne herein mit diesen transitären Linien nicht zufriedengab, sondern eine grundlegende Vernetzung seines Staatsgebietes mittels der Errichtung von Lokalbahnen anstrebte. Das moderne Bewußtsein, daß ein „Staat“ vor allem einen „kommunikativen Zusammenhang“ darstellen müsse, war also vorhanden.

Bereits im Jahre 1886, also ein Jahr vor der Eröffnung Nis-Dimitrovgrad, wurde die im Zusammenhang mit dem „Großen Bahnbau“ hergestellte Materialbahn Velika Plana-Smederevo in eine reguläre Eisenbahn umgebaut. Noch im selben Jahr konnte die Linie Lapovo-Kragujevac eröffnet werden. Im Jahre 1889 wurden die „Serbischen Staatsbahnen“ mit Sitz in Beograd gegründet. Private Bahnbauten waren unterrepräsentiert und dienten vor allem dem Güterverkehr. Im neuen Jahrhundert wurden die Linien Stalac-Kraljevo-Uzice und Prahovo-Knjazevac eröffnet. Schon damals fand die Schmalspur Anwendung.

Im Zuge der Balkankriege(1912/13) gewann Serbien neue Territorien im Süden hinzu.

Serbien 1913:

Copyright: Elmar Oberegger

Damit gingen auch die dort vorhandenen Eisenbahnlinien in seinen Besitz über.

Das serbische Netz vor dem Ersten Weltkrieg:

Copyright: Elmar Oberegger

Hierbei handelte es sich um folgende Linien:

1) Skopje-Mitrovica.

2) Skopje-Gevgelija.

3) Skopje-Ristovac.

4) Bitola-Kinali.

Der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Bahnen war jedoch beschränkt. Die Linie Skopje-Mitrovica stellte eine Sackbahn dar, die Strecke Bitola-Kinali war vom übrigen Netz völlig isoliert. Eine Beseitigung dieses Zustandes mußte oberstes Ziel der zukünftigen Eisenbahnpolitik sein.

Vor 1914 wurden noch etliche Schmalspurbahnen(76 cm) gebaut, so z.B. Mladenovac-Lajkovac und Paracin-Vrazogrnac.

 

IV: Von 1918/19 bis heute.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der „SHS-Staat“ gegründet, welcher später mit „Königreich Jugoslawien“ bezeichnet werden soll. Obwohl sich dieser Staat von Beginn an in einer politischen und wirtschaftlichen Krise befand, so war es dennoch möglich, den Eisenbahnsektor weiter aufzubauen. Es wurden zahlreiche Lokalbahnen errichtet, welche der Vernetzung des Landes dienten.

Hinsichtlich des Transitverkehrs sind zunächst die Schmalspur-Strecken(76 cm) Lajkovac-G.Milanovac-Cacak(bis 1922) und Uzice-Vardiste(bis 1925) zu erwähnen, welche Teil der Relation Beograd-Lajkovac-Cacak-Sarajevo-Dubrovnik waren und Serbien erstmals an die Adriaküste heranführten. Mit der Fertigstellung(1930) der normalspurigen Strecke Doljevac-Plocnik-Kursumlija wurde ein Teil der Verbindung Nis-Pristina hergestellt. Bis zum Jahre 1931 wurde die normalspurige Linie Kragujevac-Kraljevo-K.Mitrovica vollendet, wodurch die Verbindung Beograd-Lapovo-Kraljevo-Mitrovica-Thessaloniki entstand.

Auch unter Tito nahm der Eisenbahnsektor einen großen Aufschwung. Es wurden nicht nur neue Lokalbahnen realisiert, sondern auch Schmalspurstrecken auf Normalspur umgestellt. Als größtes Werk der titoistischen Zeit ist jedoch die Errichtung der oben bereits erwähnten „Beograd-Bar-Bahn“ zu betrachten, welche im Jahre 1976 eröffnet worden ist.

In der Ära Tito wurde aber auch mit einer großangelegten Verdieselungs- und Elektrifizierungskampagne begonnen, welche mit der Eröffnung des elektrischen Betriebes auf der Linie Skopje-Gevgelija um die Mitte der 1980er Jahre ihren vorläufigen Abschluß fand. Zu diesem Zeitpunkt waren insgesamt folgende Strecken elektrifiziert:

1) Beograd-spätere Staatsgrenze zu Kroatien.

2) Beograd-Staatsgrenze zu Ungarn.

3) Beograd-spätere Staatsgrenze zu Montenegro.

4) Beograd-Resnik/Mala Krsna-Nis-Skopje-Gevgelija.

Die Kriege der 1990er Jahre machten jegliche Modernisierung des Netzes unmöglich.

Erst im neuen Jahrtausend konnte wieder ein wichtiges Ausbauprojekt in Angriff genommen werden, nämlich die Elektrifizierung der Strecke Nis-Dimitrovgrad(Relation Türkei-Europa). Diese soll in naher Zukunft abgeschlossen sein. Bisher wurde folgendes umgesetzt:

1) Elektrifizierung des Abschnitts Dimitrovgrad-Staatsgrenze.

2) Vorbereitung des Abschnitts Nis-Dimitrovgrad auf die Elektrifizierung(Ausweitung der Tunnels, Verstärkung von Brückenanlagen).

Dieses Projekt stellt ein politisches Signal dar: Serbien möchte jene transitäre Bedeutung zurückerobern, welche es im Zuge der Kriege der 1990er Jahre verloren hat. Noch heute werden die türkischen LKWs per Schiff bis nach Triest befördert, von wo sodann die Reise per Bahn weitergeht. Wenn es Serbien gelingt, diesen Huckepack-Verkehr wieder an sich zu binden, dann wird es seiner ursprünglichen Funktion - nämlich den Verkehr zwischen Orient und Okzident zu vermitteln - wieder vollends gerecht werden können.

 

VI: Fotographien.

a)  Schienenbusse der Reihe 812 174 im Depot von Subotica(2003).

Copyright: Markus Rabanser

 

b)  E-Lok der Reihe 441 753 mit Regionalzug in Subotica(2003).

Copyright: Markus Rabanser

 

c)   Regionalzug mit UNMIK-Lokomotive im Kosovo(2004).

Copyright: Markus Rabanser

 

d)  E-Lok der Reihe 441 418 mit Regionalzug in Nis(2003).

Copyright: Markus Rabanser

 

Quellen:

Art. „Serbische Eisenbahnen“. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor RÖLL. -Berlin/Wien 1912 ff.

BOECKH Katrin: Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg. - München 1996, S. 242 ff.

HOLZINGER Reimar: Elektrifizierung in Serbien geht weiter. In: Eisenbahn 3 (1974), S. 38.

Int.Eisenbahnarchiv L.K. Pernegger

NIKOLIC Jezdimir S.: Istoria Zeleznice Srbie, Vojvodine, Crne Gore i Kosova. -Beograd 1980.

STÖCKL Fritz: Eisenbahnen in Südosteuropa. -Wien 1976.

 

Copyright: Elmar Oberegger/Markus Rabanser 2006.