[ HOME ]        [ TITELSEITE ]
   
   
 

 

LILIENTHAL UND DER KRIEG:

Ein bedeutender Tragflächen-Aeronaut im Kontext der Militärluftfahrt.

 

I: „Lilienthal und seine Erben“ – Zur Ausstellung von 1991(Berlin/Hamburg).

Im Jahr 1991 wurde in Berlin und Hamburg die Ausstellung „Lilienthal und seine Erben. Traum und Trauma der deutschen Luftfahrt“ gezeigt.(s.d. LANG 1991)

Ing. Otto Lilienthal(1848-1896):

WIKI GEMEINFREI

Sein erster Flug per Tragfläche fand im Jahr 1891 statt. 1896 verunglückte er tödlich.

Gemäß Fritz Teppich vom „Neuen Deutschland“ wurden dort „Braune Mörder als Erben des jüdischen Pazifisten dargestellt“.

Dieser Zusammenhang verlangt nach einer grundsätzlichen Untersuchung, welche hier in aller Kürze vorgelegt werden soll.

 

II: Lilienthal als „Pazifist“.

Betrachtet man allgemein den Begriff „Pazifist“, so gelangt man zur Auffassung, dass damit in der Geschichte genausoviel Schindluder getrieben wurde wie mit den Begriffen „Demokratie“, „Freiheit“ oder „Sozialismus“.

In seiner Reinform zumindest deutet er auf einen Menschen hin, welcher „Krieg“ und „Militär“ grundsätzlich ablehnt.

Historisch betrachtet trifft dies jedoch nicht zu: Viele „Pazifisten“ lehnten den Krieg nicht grundsätzlich ab, erkannten ihn aber – ansonsten das „Völkerrecht“ betonend – als „Ultima Ratio“ zur Erhaltung der Rechte des Vaterlandes.(s.d. BLEISCH/STRUB 2006; HOLL 1988)

Und damit ist auch der „Pazifismus“ Lilienthals bereits in groben Zügen umrissen: Er diente als „Einjährig-Freiwilliger“ in der Deutschen Armee und nahm sogar am (nationsbildenden) Krieg gegen Frankreich in den Jahren 1870/71 teil.(s.d. etwa HEINZERLING/TRISCHLER 1991)

Ab diesem Zeitpunkt der „Reichsgründung“ war Reichskanzler Bismarck und jedem anderen intelligenten Menschen klar, dass im Umgang mit den Nachbarstaaten höchste Vorsicht geboten war. Schon damals stand ganz klar fest, dass das „Deutsche Reich“ einen Zwei- bis Drei-Frontenkrieg nicht überleben könne. Das zog die „Diplomatische Praxis“ nach sich, das „Reich“ in der Weltöffentlichkeit als „gesättigt“, „vernünftig“ und damit als „friedfertig“ erscheinen zu lassen.

Dieses „Deutschland-Bild“ verlor ab dem Regierungsantritt von Wilhelm II.(1888) zunehmend an Bedeutung.

Lilienthal war letztlich Anhänger des „Bismarckschen Deutschland-Modells“, welches keine Angriffskriege wollte und somit nicht provozierte. Allerdings wäre er wohl nicht völlig abgeneigt gewesen, sich im Falle eines äußeren Angriffs mit seinen technischen Kenntnissen für das Vaterland zu verwenden.

Wie fern ihm – rein persönlich – „Nationalismus“ und „Imperialismus“ standen, tat er in einem persönlichen Brief an den Gelehrten Moritz v. Egidy kund. Dort heißt es:

„Die gegenseitige Absperrung der Länder, der Zollzwang und die Verkehrserschwerung ist nur dadurch möglich, dass wir nicht frei wie der Vogel auch das Luftreich beherrschen … Die Grenzen der Länder würden ihre Bedeutung verlieren, weil sie sich nicht mehr absperren lassen“.

Dass das alles – v.a. im historischen Rückblick betrachtet – ziemlich naiv klingt, steht auf einem ganz anderen Blatt –

Schnell, ganz schnell war – historisch betrachtet – die Frage des „Luft-Raums“ gesetzlich exakt geregelt.(s. Pariser Abkommen von 1919 ff.)

 

III: Das Jahr 1870 – Der eigentliche Beginn der „Militär-Luftfahrts-Forschung(Tragfläche)“. Schauplatz Frankreich. Clement Ader.

Ende des Jahres 1908 hatte Clement Ader sein Manuskript mit dem Titel „L’Aviation Militaire“(= „Militär-Luftfahrt“) fertiggestellt, 1909 ging es sodann in Druck.

Clement Ader(1841-1925):

WIKI GEMEINFREI

Es war dies – trotz all‘ dieser salbungsvollen Worte in der Einleitung – eine Propaganda-Schrift für „Die Vorteile des Luft-Kriegs“, welche sich international bis heute – obwohl rein technisch völlig überholt – größter Beliebtheit erfreut. Zuletzt wurde das Werk interessanterweise ins Englische übersetzt.

„L’Aviation Militaire“(C. Ader):

WIKI GEMEINFREI

Titelblatt der engl. Ausgabe.

Für die „Militär-Luftfahrt per Tragfläche“ wurde Ader, welcher sich schon als Kind für „Den Flug der Vögel“ interessierte, vor allem im Zuge des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 eingenommen.(s.d. etwa LISSARAQUE 1990).

Schön wäre es, aus der Luft in eleganter Weise sowohl „Aufklärung“ als auch „Feindbekämpfung“ durchführen zu können. Der Hauptfeind war natürlich Deutschland.

Zunächst hatte er für seine diesbezüglichen Forschungen einen finanzkräftigen Gönner, ungefähr 1882 trat er dann in den Dienst des Französischen Militärs ein und begann die Arbeit an seiner Dampf-Flugmaschine „ÉOLE“. Im engeren Sinne betrachtet beginnt natürlich erst an dieser Stelle die „Militärluftfahrt-Forschung“(Tragfläche).

Die Devise war fortan: „Streng geheim“.

Die Adersche „Éole“(erbaut zwischen 1882 und 1890):

WIKI GEMEINFREI

Doch schon bis zur Jahrhundertwende sickerte die Adersche Unternehmung sogar bis in die populären Handbücher der Zeit durch. Oskar Hoffmann hält um 1900 fest:

„Im Herbste des Jahres 1897 hat der französische Generalstab eine Flugmaschine genau geprüft, die von dem französischen Ingenieur Ader nach der Theorie der Aviation gebaut wurde und gewisse Erfolge aufwies … Der Avion gleicht in ziemlich einfacher Ausführung eher einem gewaltigen Spielzeuge als einem auf wissenschaftlicher Grundlage gebauten Lokomotionsmittel. Die Konstruktion der Aderschen Flugmaschine Avion ist erst lange nach dem Entstehen bekannt geworden, weil die Versuche mit der Maschine unter Wahrung tiefsten Geheimnisses stattfanden“(: 460).

Die Aderschen Flugversuche zwischen 1890 und 1897 sind rasch geschildert:

1890 machte er mit der „Éole“ zumindest einen Hopser, die Nachfolger „Avion II“(1893) und „Avion III“(1897) waren komplette Misserfolge und am Schluss flog Ader beim Militär hinaus.

Adersche „Éole III“:

WIKI GEMEINFREI

Ungefähr zwei Jahre nach der Veröffentlichung seines obgenannten Buches „L’Aviation Militaire“ publizierte sodann das französische Militär die Aderschen Flugversuche zwischen 1890-1897. Unumwunden gab man einen totalen Misserfolg zu.(s. GIBBS-SMITH 1959)

Doch die Welt hatte sich längst weitergedreht: Im Jahr 1909 hatte ein gewisser Louis Blériot per Tragfläche den Ärmelkanal überflogen, 1910 folgte dann das Luftschiff. Der „Ärmelkanal“, jenes natürliche Bollwerk, welches „Kontinental-Europa“ von England fernhielt, war damit massiv aufgeweicht. Würden bald Bomben auf englische Städte abgelassen werden können? Eine Frage, welche – wie die Geschichte zeigt – damals bereits durchaus legitim war!

Während Ader mit seiner „ÉOLE“ im Jahr 1890 lediglich einen Hopser hinlegte, begann der Deutsche Otto Lilienthal ab 1891 in der Tat zu „fliegen“. Der französische Offizier und Flugpionier Ferdinand Ferber sagte dazu 1898 in einem Vortrag:

„Den Tag des Jahres 1891, an dem Lilienthal erstmals 15 Meter weit die Luft durchmessen hat, fasse ich auf als den Augenblick, in dem die Menschheit das Fliegen gelernt hat“.

Sein Landsmann Clement Ader – dessen Tätigkeit ihm sicherlich nicht verborgen geblieben war(s.o.), war für ihn also nur ein sekundäres Element der Geschichte…

Der Deutsche Lilienthal – Der unbestrittene Vater der „Tragflächen-Luftfahrt“! Und das ausgerechnet aus dem Mund eines Franzosen. Von seiner These ließ Ferber auch zukünftig nicht mehr ab.(s. FERBER 1905: 4)

Es ist interessant zu sehen, wie früh in Frankreich die Forschung zur Militärluftfahrt(Tragfläche) beginnt. Großzügig betrachtet setzt diese schon 1870 ein, enger betrachtet erst um 1880.

In Deutschland dachten damals wohl nur „Non-Konformisten“ im Keller über das Problem „Luftkrieg per Tragfläche“ nach…

 

IV: Flugpionier Lilienthal und die Deutsche Armee.

Es hat in der Tat den Anschein, dass Deutschland und insbesondere die Deutsche Armee die Bedeutung Lilienthals sehr lange nicht erkannt hat.

Der Eintrag zu „Lilienthal, Otto“ in Meyers Lexikon des Jahres 1905 ist knapp und nüchtern. Höhere Bedeutung maß man diesem Mann nicht zu.

Im populären „Hoffmannschen Handbuch“ von 1910(s.o.) kommt er zwar als Mann vor, dem man – wenngleich augenzwinkernd – „Genialität“ zuspricht, ihm aber auch schlichte „Fliege-Lust“ unterstellt. An dieser sei er dann eben 1896 zugrundegegangen. Wörtlich: „Lilienthal, der geniale deutsche Flugforscher, welcher infolge eines unglücklichen Sturzes im Jahre 1896 ein Opfer seiner ungebändigten Fliegelust wurde…“(: 459).

Lilienthal ging es aber um viel mehr. Dem wird man im Handbuch denn später auch gerecht, wenn festgestellt wird:

„Die meisten Versuche, das Problem der Flugtechnik zu lösen, unternahm … der Ingenieur Lilienthal, welcher mit seinen Apparaten den Schwebeflug der Vögel nachahmte, d.h. ein Dahingleiten ohne Flügelschlag … Lilienthal fand bei seinen vielen Versuchen, daß Flügel, wenn sie schwach parabolisch gewölbt sind und horizontal gehalten werden, einen stark hebenden, wenig hemmenden Widerstand erfahren, sobald die Luft horizontal auftritt. Hat der geniale Ingenieur auch das Problem des Fliegens nicht endgültig gelöst, so hat die Flugtechnik ihm doch viele praktische Winke zu verdanken, und es ist bedauerlich, daß Lilienthal ein Opfer seiner Versuche geworden ist“(: 461).

Kontakte zwischen Lilienthal und der Armee gab es aber nie. Die „Tragfläche“ war ganz offensichtlich völlig uninteressant, niemand wollte Lilienthal zum „Deutschen Ader“ machen…

Zwischen 1911 und 1914 wurden in Deutschland nur 900 Flugzeuge produziert. Obwohl diese Zahl dann im Weltkrieg auf ca. 50.000 hinaufschnellte, blieb Deutschland hinter Frankreich immer zurück.(s.d. SCHMITZ 1990)

Flugzeugproduktion in Deutschland: 1911-1914 und 1914-1918 im Vergleich.

nach: Bölkow 1990: 545.

Flugzeugproduktion im Ersten Weltkrieg allgemein:

nach: Bölkow 1990: 546.

Es wäre sicherlich interessant gewesen, wie Lilienthal auf ein Angebot der Armee reagiert hätte. Als Pazifist hätte er ein Angriffskriegs-Konzept sicherlich abgelehnt. Eine „LUFT-WAFFE“ zum Schutz von Staat und Nation hätte er aber sicherlich begrüßt.

Was wäre weltgeschichtlich passiert, wenn die Deutsche Armee den Herrn Ing. Lilienthal schon nach seinem ersten Flug von 1891 unter Vertrag genommen und damit von seinen in der Tat drückenden materiellen Verhältnissen befreit hätte?

Gutes Gehalt, eigene Werkstätte mit Mitarbeitern, eigenes Übungsgelände, absolute Geheimhaltung. Vor diesem Hintergrund hätte er wohl auch bald den „Ersten Motorflug der Weltgeschichte“ zustande gebracht. Deutschland hätte im Ersten Weltkrieg letzten Endes einen riesigen Vorteil gegenüber seinen Feinden gehabt. Das ist die einzige Antwort, die auf die oben gestellte Frage zu geben ist.

 

V: „Pazifist Lilienthal“ versus „Geschäftsmann Lilienthal“. Ein Zwiespalt von historischer Bedeutung.

Otto Lilienthal war nicht nur Pazifist, Ingenieur und Erfinder, sondern auch Unternehmer, also „Geschäftsmann“. In letzterer Eigenschaft war er übrigens am wenigsten erfolgreich.

Nachdem ein „Anbot des Militärs“(s.o.) ausgeblieben war, vermarktete Lilienthal seine Erfindungen selbst. Und so gingen diese ins Ausland, und zwar – so Walter Rathjen(s. 1990: 18 f.) – nach:

1)    USA.

2)    Großbritannien.

3)    Österreich.

4)    Schweiz.

5)    Rußland.

Es ist übrigens davon auszugehen, dass sich auch Frankreich und Italien aus dem Lilienthalschen Fundus reichlich „bedienten“. Er war ja immerhin „öffentlich“.

Lilienthal mag sich als Pazifist eingeredet haben, dass all‘ das der „Völker-Freundschaft“ diene. Als Geschäftsmann konnte es ihm völlig egal sein, was mit der verkauften Ware passiert.

Ob ein Kunde z.B. ein Messer zum Brotschneiden oder zum Töten verwendet, liegt nicht im Ermessen des Verkäufers. Ob seine Erfindungen nun „Kriegstreibern“ in die Hände fallen, oder nicht, musste Lilienthal als „Geschäftsmann“ völlig egal sein.

Abschließend wollen wir zum Ausgangspunkt dieses Aufsatzes zurückkehren, wo die Frage nach der „Erbschaft“ Lilienthals aufgeworfen wurde. Diese ist – wie Lilienthal selbst – als zwiespältig zu begreifen(s.o.):

Die Nazis mit ihren imperialistischen Zielen waren ideengeschichtlich ganz sicher nicht die „Erben Lilienthals“. Hier muss man Fritz Teppich zu 100% rechtgeben.

Lilienthals Know-How ist aber nun einmal in technikgeschichtlicher Hinsicht u.a. in Hitlers Luftwaffe eingedrungen –

Und genau hier verläuft die tragische historische Kontinuitätslinie „Lilienthal-Nationalsozialismus-2. Weltkrieg“.

 

Quellen &. Literatur:

ADER Clement: L’Aviation Militaire. –Paris 1909.

BLEISCH Barbara/Jean D. Strub(Hrsg.): Pazifismus. Ideengeschichte, Theorie und Praxis. –Bern 2006.

BÖLKOW Ludwig(Hrsg.): Ein Jahrhundert Flugzeuge. Geschichte und Technik des Fliegens. –Düsseldorf 1990.

FERBER Ferdinand: Vortrag 1898, s. RATHJEN a.a.O., S. 14 f.

FERBER Ferdinand: Les Progrès de l’Aviation depuis 1891 par le vol plané. –Paris/Nancy 1905.

GIBBS-SMITH Charles H.: Hops and Flights. In: Flight 75 (1959), S. 468 ff.

GIBBS-SMITH Charles H.: Clement Ader. His flight-claims and his place in history. –London 1968.

HEINZERLING Werner/Helmut Trischler(Hrsg.): Otto Lilienthal. Flugpionier, Ingenieur, Unternehmer. –München 1991.

HOFFMANN Oskar: Erfindungen und Entdeckungen auf allen Gebieten der Wissenschaft und Technik. –Leipzig 1900(Bilz‘ Hausschatz der Bildung und des Wissens 4).

HOLL Karl: Pazifismus in Deutschland. –Frankfurt/M. 1988.

LANG Dieter(Red.): Hundert Jahre Deutsche Luftfahrt. Lilienthal und seine Erben. –Gütersloh 1991.

LILIENTHAL Otto: Brief an Moritz Egidy(Archiv des Lilienthal-Museums in Anklam/BRD).

LISSARAQUE Pierre: Clement Ader. Inventeur d’Avions. –Toulouse 1990.

MEYERS LEXIKON 1905.

RATHJEN Walter: Historische Entwicklung des Flugzeugs im Überblick. In: Ein Jahrhundert Flugzeuge. Geschichte und Technik des Fliegens. Hrsg. v. Ludwig Bölkow. –Düsseldorf 1990, S. 8 ff.

SCHMITZ Arno L.: Die Luftfahrtindustrie. In: Ein Jahrhundert Flugzeuge. Geschichte und Technik des Fliegens. Hrsg. v. Ludwig Bölkow. –Düsseldorf 1990, S. 544 ff.

SCHWIPPS Werner: Lilienthal. Die Biographie des ersten Fliegers. –Gräfeling 1986.

SCHWIPPS Werner: Der Mensch fliegt. –Koblenz 1988.

TEPPICH Fritz: Braune Mörder als Erben des jüdischen Pazifisten dargestellt. In: Neues Deutschland vom 28.09.1991.

Wiki-Art. Zum Thema

 

Copyright: Elmar Oberegger 2015.