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X: Vom „Däumling“(Tom Thomb) zum “Prachtkerl”(Big Boy) – Geschichte der Dampftraktion. Diesel- und Elektrotraktion.

Es war ganz zweifellos die „Baltimore &. Ohio-Eisenbahngesellschaft“(= B&O; konzess. 1827, s.o.), welche innerhalb der Traktions-Geschichte der USA die ersten, entscheidenden Trends setzte.

Wir gegenwärtigen hier aber zunächst „Lern-Prozesse“, welche wie folgt umrissen werden können:

a)     Anfangs vertraute man sich dem „Pferd“ als „Traktionsmittel“ an, nicht zuletzt deshalb, weil die britischen Lokomotiven als untauglich erschienen. Vor allem ging es hier zunächst um die Frage der Kurvenradien. Doch nachdem dieses Problem beseitigt war, stieg man sofort auf Dampflokomotiv-Betrieb um. Man wandte sich wohlgemerkt eher gegen die britischen Konstruktionen als gegen die Dampflok selbst.

b)    Das „Britische Modell der Schiefen Ebene“(s. Darstellung), welches auf der Idee fußte, dass eine Dampf-Lokomotive niemals in der Lage sei, größere Steigungen ohne „Rutschen der Räder“ zu bewältigen, übernahm man jedoch zunächst ohne Bedenken.

Darstellung zum „Britisch-europäischen System der Schiefen Ebene“.

Copyright: Elmar Oberegger

Der Zug wurde von der Lok abgekoppelt, alsdann an ein Seil gekoppelt und hochbefördert, um sodann wieder von einer Lok weiterbefördert zu werden.

Wir wissen heute, dass diese als Paradigma vorgetragene Idee vom „Rutschen der Lokomotive in Steigungsabschnitten“ nichts Anderes als ein Mythos war. Sogar der an sich so praktisch orientierte Georg Stephenson(!) war ihr gedanklich zutiefst verhaftet und plädierte ständig für die Anbringung von „Schiefen Ebenen“ – Allein der Österreicher Franz Anton v.Gerstner hatte diesem sehr zeitaufwendigen Modell schon 1822(!) eine klare Absage erteilt.(Vgl. GERSTNER 1839/2011: 2)

Der US-amerikanische Fahrgast, der bekanntlich keine Zeit zu verschwenden hat(siehe „Time is Money“, „We always go Ahead“), stand diesem Transport-Modell offenbar schon immer mit negativem Geist gegenüber. Bruno Enderes(1926: 16) referiert hierzu ein Ereignis, welches Ghega einst in den USA aufgeschnappt hat:

„ …der nicht furchtsame Amerikaner steigt … auf der Portage-Seilebene vom Wagen ab und macht alle 10 schiefen Flächen zu Fuß, so schauderhaft ist es ihm, sich … einem Seile zu überlassen“.

Den Ausschlag für den oben angesprochenen Umstieg vom Pferd auf die Lokomotive gab eine am 28. August 1830 durchgeführte „Experimentalfahrt“ auf der ersten Strecke der B&O. Die vorgeführte „Coopersche Lokomotive“, welche später als „Tom Thomb“(= „Der Däumling“) in die Geschichte eingehen soll, war genau nach den US-Ansprüchen konstruiert worden. Sie entsprach perfekt den Erwartungen.

Dass damals auch noch eine „Wettfahrt“ zwischen Pferd und Lokomotive spontan provoziert wurde, und die Lokomotive – wie in einem obigen Kapitel schon erwähnt – verlor(!), steht auf einem ganz anderen Blatt.

Pferd gegen Lokomotive: Die „Wettfahrt“ auf der B&O im Jahre 1830.

Aus: GDÖU I/1, 45.

Ein Zeitzeuge berichtete über die zuvor abgewickelte Probefahrt u.a.: „Das bemerkenswerteste war die Reise selbst. Kurven wurden ohne Schwierigkeiten mit einer Geschwindigkeit von fünfzehn Meilen pro Stunde genommen; Höhen mit vergleichbarer Mühelosigkeit erklommen. Es war ein gelungener Tag: Die Reisegesellschaft befand sich in höchster Verzückung…“.

Die einst hergestellten „Schiefen Ebenen“ wurden von der B&O bis 1839 auf durchgehenden Lokomotiv-Betrieb umgebaut. Und nie wieder wurden in den USA solche „Schiefen Ebenen“ errichtet – Die B&O war also wirklich ein „Trendsetter“!

Das beigegebene Foto zeigt übrigens den Fortschritt der „US-Lokomotiv-Technik(1830-1900)“ besser als tausend Worte. Doch der „Big Boy“ soll das alles einst noch übertreffen!

Der Fortschritt der US-Lokomotiv-Technik von 1830 bis zur Jahrhundertwende:

Aus: O.Hoffmann, Erfindungen und Entdeckungen auf allen Gebieten der Wissenschaft und Technik, Leipzig 1900, 791.

Moderne US-Dampflok neben einer alten Lokomotive „À la Tom Thomb“.

Historisch bemerkenswert ist, dass seit der oben erwähnten „Experimental-Fahrt“ auf der B&O die US-Lokomotiv-Bestellungen in Richtung England über die Jahre immer mehr abnahmen, der „US-Eigenbau“ jedoch massiv zunahm.

Die USA hatten also zu ihrer Art der Lokomotiv-Produktion gefunden und entfernten sich vom vermeintlich „Großen Lehrer“ aus der Alten Welt immer mehr.

Beigegebene Statistik fußt auf dem im Frühjahr 1839 gegebenen Bericht des Staatssekretärs für Finanzen an das Repräsentantenhaus(Vgl. GERSTNER 1839: 8)

Lokomotiv-Produktion in den USA im Vergleich zum Import aus England:

Nach: F.A. v.Gerstner, Berichte aus den Vereinigten Staaten von Nordamerica, Über Eisenbahnen, Dampfschiffahrten, Banken und andere öffentliche Unternehmungen, Leipzig 1839, 8.

1838 hörte der „England-Import“ also bereits auf.

Die Coopersche Lokomotive(„Tom Thomb“) war übrigens nicht für den Dienstbetrieb gebaut und wurde somit umgehend verschrottet. 1892 wurde ein hölzerner Nachbau hergestellt, ein weiterer Nachbau wurde der Öffentlichkeit 1926 vorgeführt.

Im Jahre 1831 gründete Matthias W.Baldwin in Philadelphia ein Lokomotiv-Werk, welches einst nicht nur zum bedeutendsten der USA, sondern sogar der Welt werden soll.

Logo der „Baldwin Locomotive Works“:

WIKI GEMEINFREI

1902 übersiedelte die Firma nach Eddystone, Pennsylvania.

Die Konkurrenten waren: „American Locomotive Company“(ALCO) und „LIMA-Locomotive-Works“.

Im Jahre 1941 wurde schließlich der „Big Boy“ geboren, ein Koloss mit einer Dienstmasse von 350 Tonnen und einer Länge von 42 Metern.(Vgl. etwa HAAS 1978)

Der „Big Boy“:

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Höchstgeschwindigkeit: 130 km/h(zulässige Höchstgeschwindigkeit 112km/h).

Offiziell hieß er „UP-Klasse 4000“ und wurde von ALCO für die „Union Pacific“ erzeugt. Ein Mechaniker schrieb allerdings mit Kreide auf die Rauchkammer „Big Boy“ und diese Bezeichnung war alsbald in aller Munde.

Diese Lokomotive hatte zwei Funktionen:

a)     Vermeidung des „Vorspann- und Schiebebetriebes“ über die Rocky Mountains.

b)    Die Strecke Cheyenne(Wyoming)-Ogden(Utah) sollte ohne Lokwechsel befahren werden können.

Der „Big Boy“ bewährte sich vorzüglich. Im Jahre 1959 jedoch fuhr der letzte seiner Art. Noch bis 1962 blieben 4 „Big Boys“ als Betriebsreserve erhalten. Heute existieren noch 8 Lokomotiven, verteilt auf verschiedene US-Eisenbahnmuseen. Sie sind übrigens nicht betriebsbereit.

Das Ende der „Dampflokomotiv-Ära“ kam auch in den USA nicht völlig abrupt, sondern zog sich über die Jahrzehnte hin. Der erste berühmte Diesel-Zug war der 1936 eingeführte „Super Chief“. Besonders in den späten 1940er Jahren verstärkte sich der Trend zur weniger wartungsintensiven Diesel-Lok. 1956 ging sodann das berühmte Baldwinsche Lokomotivwerk(s.o.) zugrunde. LIMA und ALCO erging es genauso. In den 1960ern endete sodann die „Dampflokomotiv-Ära“ in den USA.

Der elektrische Betrieb setzte sich im Fernverkehr nur wenig durch, und wenn, dann v.a. in den östlichen Staaten. Von hervorragender Bedeutung ist hier heute der „Acela-Express“. Im Bereich des städtischen Verkehrs war und ist er jedoch insgesamt viel ausgeprägter. Dort beginnt 1888 auch seine Geschichte(„Sprague Electric Railway &. Motor-Company“).

1895 elektrifizierte die B&O als nicht-städtische Eisenbahngesellschaft den „Howard-Street-Tunnel“(1,6km) in Baltimore. Grund: Verhinderung der Rauchplage. Die Gesellschaft war hier nun aber keineswegs „Trendsetter“. Vielmehr wurde die Anlage nach Einführung des Dieselbetriebes(1952) wieder abgebaut.

Tunnel-Lok der „Baltimore-Ohio-Bahngesellschaft“:

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Sie zog einst dampfbespannte Züge durch den Howard-Street-Tunnel in Baltimore.

Letzten Endes war es der große Kohlen- und Ölreichtum der USA, welcher bis jetzt die elektrische Traktion auf den „Großen Eisenbahnen“ nicht so recht aufkommen ließ.

Bei der Realisierung der „Obamaschen Hochleistungs-Strecken“ wird man jedoch an der Elektro-Traktion nicht vorbeikommen.

 

Quellen und Verweise:

COLLIAS Joe G.: Big Boy und Co. Das Ende der Dampflok-Ära in den USA. –Königswinter 1995.

DEGENER Ulf: Dampfloks in den USA. Big Boy &. Co. Von der Blütezeit zum Museumsbetrieb. –München 2006.

DRURY George H.: Guide to North American Steam Locomotives. History and development of Steam Power since 1900. –Waukesha 1999(3).

ENDERES Bruno: Die “Holz- und Eisenbahn” Budweis-Linz. Das erste Werk deutscher Eisenbahnbaukunst. –Berlin 1926.

GERSTNER 1839/2011 = GERSTNER Franz A.: Die Eisenbahngeschichte Österreichs und anderer europäischer Staaten.(No. IX und X. der „USA-Berichte“ von 1839). –Sattledt 2011.

GERSTNER Franz A.: Berichte aus den Vereinigten Staaten von Nordamerica. Über Eisenbahnen, Dampfschiffahrten, Banken und andere öffentliche Unternehmungen. –Leipzig 1839.

HAAS Arnold: Dampflokomotiven in Nordamerika. USA und Kanada. –Stuttgart 1978.

MIDDLETON William D.: When the Steam Railroads electrified. –Bloomington 2001(2).

WESTCOTT Linn H.(Ed.): Steam Locomotives. Milwaukee 1981(2).

Wiki-Artikel:Tom Thomb”, “Baldwin Locomotive Works”, “UP-Klasse 4000”, „Liste elektrifizierter Bahnstrecken in Nordamerika“, „Geschichte des elektrischen Antriebs von Schienenfahrzeugen“.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2012.