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JAN WNEK(1828-1869):

 Der „Erste Tragflächen-Aeronaut Österreichs und der Welt“?

Informationen aus Galizien und der historische Umgang mit denselben.

 

I: Vorbemerkungen.

Unter den vielen schönen Exponaten im Ethnographischen Museum der Stadt Krakau(Ulica Krakowska No. 46) sticht dem Luftfahrthistoriker natürlich besonders eines ins Auge:

Der Nachbau des Fluggerätes eines gewissen Jan Wnek. Damit soll dieser im 19. Jahrhundert bereits gut zwei Jahrzehnte vor dem Deutschen Otto Lilienthal mehrere erfolgreiche Flüge unternommen haben. Und er soll noch dazu viel weiter(ca. 3 km!) geflogen sein als dieser. Er war Galizier und damit „Alt-Österreicher“. Wie Lilienthal bezahlte er übrigens seine Passion mit dem eigenen Leben.

Nachbau des Wnekschen Fluggerätes(Krakau, Ethnograph. Museum):

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Für den Freund von „Harten Fakten“ stellt sich bezüglich des obigen Zusammenhangs die Quellenfrage allerdings als höchst problematisch dar:

Über Wneks Flüge existieren nur alte Aussagen von Zeitzeugen(1932). Selbst der im Jahr 1956 von Marta Gasowska und Zdzislaw Szewczyk hergestellte Museums-Nachbau entstand nur aufgrund des Protokolls zur Befragung eines gewissen Joseph Zoladzia, also auf höchst spekulativer Basis.

Das große Land im Osten: Galizien im Kontext der Donaumonarchie(ab 1867).

Copyright: E.Oberegger

Hier wurde Jan Wnek 1828 in Kaczowce(Tarnower Gegend) geboren. Nach 1918 kam das Land zu Polen. Später wurde es zwischen Polen und der UdSSR aufgeteilt.

Im vorliegenden Beitrag soll nun zunächst einmal die Quellenfrage betrachtet werden. Sodann wird es um den Quellen-Inhalt gehen. Abschließend wird ein Blick auf den historischen Umgang mit dem „Fall Wnek“ geworfen werden.

 

II: Zur Quellenfrage – Die Forschungen des Prof. Dr. Tadeusz Seweryn im Jahre 1932.

Herr Prof. Dr. Tadeusz Seweryn – geboren im Jahr 1894 – darf durchaus als polnischer Patriot betrachtet werden, hatte ein bewegtes Leben und arrangierte sich letztendlich mit dem „Kommunismus“. In Deutschland und Österreich ist er so gut wie unbekannt.

Ursprünglich war sein Hauptfach „Kunstgeschichte“, doch er bildete sich im Lauf der Zeit immer mehr fort und tendierte damit in Richtung „Universal-Gelehrter“. Schließlich wurde er zum Direktor des Krakauer Ethnographischen Museums berufen.

Prof. Dr. Tadeusz Seweryn(1894-1975):

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Im Jahre 1932, also ca. 7 Jahre vor der Auslöschung des bisherigen polnischen Staates durch Hitler, führte er eine Forschungsreise nach Odporyszow in Galizien durch. Die genauen Hintergründe sind unklar. Es mag ihm wohl bekanntgegeben worden sein, dass es dort im 19. Jahrhundert einmal einen „Flieger“ namens Jan Wnek gegeben hat.

Und in Odporyszow führte er sodann unter der Bevölkerung „Befragungen“ durch und protokollierte diese: Der erste Flug Wneks habe im Jahr 1865 stattgefunden, der nächste ein Jahr darauf, der letzte 1869, welcher mit dem tödlichen Absturz endete.

Zwischen 1865 und 1932 liegen nur 66 Jahre: Es ist also durchaus glaubhaft, dass Seweryn damals noch Leute befragen konnte, welche die Flüge Wneks selbst beobachtet haben.

Eine Fotographie zur Sache war und ist nicht vorhanden. Die Fotographie befand sich damals ja technisch noch auf unterstem Niveau. Beim „Fall Lilienthal“ war das bereits ganz anders.

Im Jahr 1939 wurde Polen durch Hitler besetzt und es begann eine lange nationale Leidenszeit. Erst nach 1945 erstand ein neues, westverschobenes Polen.

Die erste Frucht aus dem Sewerynschen Fundus(1932) dürfte der obgenannte spekulative Nachbau des Wnekschen Fluggerätes(1956) sein.

Erst im Jahre 1961 ließ Seweryn seine Forschungsergebnisse in sein großes Buch „Technicy i wynalazcy ludowi“(= soviel wie: „Erfinder und Techniker aus dem Volk“) einfließen.

Hier bemühte er zusätzlich auch externe Quellen, welche die Flüge Wneks bezeugen sollten. Neuere Forschungen(Skowronska) zeigten jedoch deutlich, dass diese in Wahrheit nicht existieren.

 

III: Zu Herkunft, Ausbildung und Beruf des Jan Wnek. Vorgeschichte des „Ersten Fluges“(1865).

Jan Wnek wuchs zunächst in größter sozialer Tristesse auf: Er war der Sohn von Leibeigenen aus der Tarnower Gegend. Man war zutiefst katholisch. Doch schon als Kind war er vom „Reich der Lüfte“ und dem Flug der Vögel fasziniert.

Im „Revolutionsjahr 1848“ lichtete sich sodann der soziale Himmel über dem 20-jährigen Wnek und er konnte eine Lehre als Tischler beginnen. Bald wandte er sich auch der Bildhauerei und der Schnitzerei zu.

Schließlich erlangte er bei Pater Stanislaw Morgenstern eine dauerhafte Anstellung: Es ging um den Aufbau und die Ausschmückung der Kirche von Odporyszow.

Die Kirche von Odporyszow:

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Wnek wurde angesichts seiner Kompetenz und seines Fleißes bald zum Liebling von Pater Morgenstern.

Auch „Schäfchen“ der Umgebung ließen sich von ihm bald dies oder das anfertigen. Er verdiente sehr gut.

 

IV: Von 1865 bis zum tödlichen Absturz von 1869. Den Informationen aus dem Sewerynschen Fundus(1932) folgend.

Nachdem Wnek seine Taschen gut gefüllt sah, begann er 1863 damit, am Privat- bzw. Kindheits-Projekt des „Menschenfluges“ zu arbeiten. Sein „Erstes Fluggerät“ begann zu entstehen.

Aus dem Kirchturm von Odporyszow warf er oft stundenlang verschiedene Blätter von diversen Bäumen hinaus, um dann deren „Eigenschaften“ in der Luft zu studieren. Dem Problem der „Thermik“ maß er also größtes Gewicht bei.

Wnek war tiefgläubiger Katholik und damit zutiefst schamhaft bezüglich des „Revolutionären“ bzw. des „Fortschritts“:

Dem Pater Morgenstern dürfte sein Projekt zumindest von vorne herein suspekt gewesen sein. Otto Lilienthal begann unter ganz anderen Voraussetzungen!

So führte er seinen „Ersten Flugversuch“ 1865 relativ geheim durch: Frühmorgens, von einem Hügel aus. Und doch wurde er von manchen Bauern beobachtet. Der Versuch war erfolgreich.

Wnek strebte nun danach, von der größten Erhebung der Gegend, nämlich dem Kirchturm von Odporyszow zu starten: Pater Morgenstern gestattete ihm das, jedoch unter der (religiösen) Auflage, nicht über den Kirchturm zu fliegen. Doch davon war ja nie die Rede gewesen…

Wnek errichtete in der Folge eine Absprung-Rampe am Kirchturm und flog sodann am 19. Mai 1866 vor Publikum ganze 2 Kilometer weit. Das Volk lief ihm nach und nach der Landung herrschte Volksfest-Stimmung.

Bis 1869 führte er noch weitere Flüge dieser Art durch. Jeweils vor Publikum. Der längste soll ca. 3 Kilometer umfasst haben.

Vielleicht hat sich schon seit 1866 das Gerücht verbreitet, dass Wnek mit dem Teufel im Bunde stehe. Pater Morgenstern hat diesem vielleicht sogar Vorschub geleistet. Das angemessene Terrain des Menschen sei immerhin das Erdenreich, nicht das „Reich der Lüfte“… 

Am 27. Mai des Jahres 1869 stürzte Wnek sodann ab und wurde ca. 1,5 km neben dem Kirchturm schwerverletzt gefunden. Ungefähr zwei Monate rang er ans Bett gefesselt mit dem Tod und hinterließ sodann seine Ehefrau Louise mit einer Schar von fünf Kindern.

Es ist überliefert, dass sein Flugapparat von den katholischen Eingeborenen sofort als „Teufelszeug“ verbrannt wurde.

Schriftliche Aufzeichnungen zur Sache aus der Hand des Meisters sind bis heute unauffindbar. Wurden auch diese von äußerer Hand vernichtet?

Unauffindbar ist auch das Grab von Wnek:

Pater Morgenstern hat seinen einstigen „Liebling“ offenbar „abseits“, also in einem Massengrab beerdigen lassen –

Also an einem Ort, wo „Satanisten“, „Selbstmörder“ und „Geisteskranke“ ganz einfach hingehören…

Rein wissenschaftlich ist zum obigen Zusammenhang anzumerken: Hier sind der Luftfahrt-Forschung vielleicht sehr wichtige Sachbeweise verlorengegangen. Eine – übrigens einst geplante – Exhumierung des Leichnams von Wnek hätte zumindest über die Todesumstände wichtige Aufschlüsse geben können.

 

V: Jan Wnek – Luftfahrtpionier von Weltgeltung? Der österreichische und der polnische Kontext.

Jan Wnek war – wie oben bereits gesagt –  Galizier, d.h. „Alt-Österreicher“. Im heutigen Österreich und in Deutschland ist er allerdings ziemlich unbekannt. Und wenn ihn jemand kennt, dann wird seine Stellung als „Luftfahrt-Pionier“ aufgrund der heute sich präsentierenden Quellenlage(s.o.) massiv in Frage gestellt.

Wir sind letzten Endes zurückgeworfen auf die Forschungen des Prof. Dr. Seweryn: Handelt es sich hierbei um ganz bewusst produzierte falsche Tatsachen? Wurde alles nur vor dem Hintergrund eines „Polnischen Nationalismus“ inszeniert? Damit hätte Prof. Seweryn seinem Heimatland sicherlich nichts Gutes getan.

Der „Endgültige Beweis“ für die Wnekschen Flüge fehlt, und daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass die Erzählung darüber in Odporyszow bis heute in aller Munde ist. Dort befindet sich heute übrigens auch ein sehr schönes Wnek-Museum.

Wnek war im kommunistischen Polen aufgrund seines tiefen „Katholizismus“ suspekt, heute aber scheint er bereits die Rolle eines „National-Heiligen“ zu spielen.

Weitere Forschungen erscheinen aufgrund der heutigen Faktenlage als sinnlos.

 

Quellen &. Literatur:

GALEK Jacek A.: Jan Wnek. Latal przed Lilienthalem. –Tarnow 2001.

GIERON Ursula: Polski Ikar. Jan Wnek z Odporyszowa. –Tarnow 1996.

MINORSKI Alexander: Ikar znad Dunajca. –Warschau 1970.

SEWERYN Tadeusz: Technicy i wynalazcy ludowi. –Warschau 1961.

SKOWRONSKA Malgorzata: Jan Wnek. –Odporyszow/Krakow 2007.

WALEGA Stanislaw: Jan Wnek. Prekursor szybownictwa. In: Przeglad Lotniczy 1 (1997), S. 8 ff.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2015.