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II: AUS DER BAUGESCHICHTE (1901-1906).

2.3. Emmerich Grillmayr über das „Emiliendorf“ in Spital am Pyhrn.

 

a) Vorbemerkungen.

Der geborene Spitaler Emmerich Grillmayr(1890-1969) ging stets mit wachem Geist durch die Welt. Bis 1964 stellte er eine beachtliche Studie zu Kultur und Geschichte seiner Heimatgemeinde zusammen, deren Zweck er wie folgt umriß: „In diesen Blättern möchte ich ein wenig Geschichte meiner schönen Heimat Spital a/P. sowie Erlebtes und Gehörtes in einer zwanglosen Schilderung darstellen (...) Meine Erzählungen sollen als Führer in die Vergangenheit gelten (...)“.

Emmerich Grillmayr:

 

 

Aus: E.Grillmayr, Spital am Pyhrn, Bruck/M. 1990, 4.

Im Jahr 1990 wurden diese „Blätter“ unter dem Titel „Spital am Pyhrn - Heimatbilder“ von seiner Tochter Gerti Kornberger in Buchform zusammengefaßt. Herr Univ.-Prof. Dr. Roland Girtler ließ mir dieses kostbare Werk im Jahre 2001 zur freien Verwendung zukommen.

Als die Pyhrn-Bahn fertiggestellt wurde, war Emmerich Grillmayr ungefähr sechzehn Jahre alt. Damit konnte er deren allgemeine Baugeschichte, besonders aber die Errichtung des Bosruck-Tunnels hautnah miterleben.

Zur Unterbringung der zahlreichen Tunnel-Arbeiter wurde am Nordportal des Bosruck eine Baracken-Siedlung errichtet, für die sich im Volksmund alsbald der Name „Emiliendorf“ einbürgerte.

Nordportal und „Emiliendorf“:

Aus: GDÖU V/1, 131.

Diese Arbeiter kamen zum großen Teil aus Italien, aber auch aus den südlichen Teilen der Donaumonarchie. Dadurch wurde der damalige Alltag von Spital am Pyhrn kulturell immens bereichert. Um negativen sozialen Erscheinungen vorzubeugen, wurde diese Siedlung einerseits bürokratisch in den Gemeindebetrieb eingebunden und andererseits überwacht.

Grillmayr berichtet über das Thema nicht in geschlossener Form, sondern geht auf dieses an mehreren Stellen ein. Die entsprechenden Fragmente wurden hier gesammelt und mit einer schlagwortartigen Überschrift versehen.

 

b) Sie kommen! (1901).

„Dann, in den folgenden Tagen(nach der Spatenstich-Feier, Anm.d.Hrsg.) kamen sie gezogen: zu Fuß über den Paß(= Pyhrn-Paß, Anm.d.Hrsg.) - Arbeiter aus Kroatien, Serbien, Macedonien, Montenegro, aus Krain, Istrien, Steirer, Kärntner, Salzburger, Tiroler - hauptsächlich aber Italiener von Riva bis Sizilien“(S. 29).

 

c) Das „Emiliendorf“ entsteht.

„Vorerst wurden Baracken für Gaststätten, eine Bäckerei, eine Ausspeiserei (heute würde man Kantine sagen), Geschäftsläden, ja sogar einen Tandler namens Swoboda gab es - für die Arbeiter erbaut. Dieses neuerstandene Dorf, das von der Bauer-am-Pyhrn-Kapelle bis über das Försterhaus hinausreichte, hieß Emiliendorf.

Rundum standen primitive Hütten, versteckt zwischen den großen Felsblöcken auf der Schwarzenbergseite. Jede halbwegs bewohnbar scheinende Hütte oder Scheune wurde hergerichtet und belegt, sogar der uralte Turm des Bischofs von Bamberg“(S. 29).

 

d) Anton Feuerhuber, genannt „Fleischtoni“ - Der hochgeachtete Polizist des Dorfes.

„Es ist begreiflich, wenn auf so einem kleinen Flecken Erde tausende Arbeiter eng beisammen leben - dazu kommt das Nationalgefühl und die Sprachverschiedenheit - daß da vorgesorgt werden muß. Zwar wurden im alten Bauernhaus etliche Gendarmen stationiert, aber der Polizist, der mit der Mentalität der verschiedengearteten Baraber vertraut ist und auch entsprechend einschreiten kann, ohne sein Gesicht zu verlieren - der  mußte erst gefunden werden.

Und er wurde gefunden.

Im Ort lebte und arbeitete seit Jahren im Gasthof ‘Zur Post’ der als Fleischhauer weitbekannte Toni Feuerhuber vulgo Fleischtoni.

Feuerhuber legte sein Metzgerwerkzeug auf den Fleischstock und wurde Polizist. Er war ein Mann, groß, voll Umsicht und Kraft, eine echte Sheriffsgestalt.

Feuerhuber enttäuschte niemanden, weder seine Wähler noch die Baraber. Es spricht für ihn, daß in den fünf Jahren Bauzeit nur ein Totschlag vorkam; ja, es gab nicht einmal Einbruch, und das bedeutet etwas bei einer Einwohnerzahl von fast 2000 Männern!

Nach der Beendigung der Bauzeit ging Feuerhuber dann zum Oberbau(also zur Eisenbahn, Anm.d.Hrsg.). Er starb hochbetagt, und die Gemeinde dankte ihm für seinen Einsatz in der großen Zeit“(S. 29 f.).

 

e) Die alljährliche „Barbara-Feier“(4. Dezember) in der Stiftskirche.

„Eine besondere Feier für uns Buben und gewiß auch für die Erwachsenen war die Barbarafeier am 4. Dezember jedes Jahres zur Zeit des Tunnelbaues.

An diesem Tag gab es keine Schicht, und zu Ehren der Schutzpatronin der Bergleute wurde in der Stiftskirche ein Hochamt abgehalten. Die Kirche war überfüllt, meist waren es Italiener. Der Gesang war überwältigend. Wenn der Priester den Gruß an die Beter, das ‘Dominus vobiscum’, mit erhöhter Stimme hinwegsprach - dann erbrauste der Kirchenraum von dem kräftig gesungenen ‘et cum spiritu tuo’ der Südländer, Männer, Frauen und Kinder. Ja, sie bleibt immer schön, die Sprache des antiken Rom“(S. 36).

 

f) Über die fremden Arbeiterkinder in der Schule.

„Uns Kindern wurde auf einmal der Schulbesuch sehr wichtig. Natürlich waren die Barackenbesitzer in Emiliendorf als erste mit Kind und Kegel da. Nun, etliche Kinder gingen ja schon zur Schule, aber unsere Schule war ihnen völlig neu“(S. 36). „In der Schule gab es Italiener-, Serben- und Istrianerbuben“(S. 63).

„Lehrer Cedron konnte Italienisch. Aber es gab auch Buben aller Balkansprachen - doch Herr Cedron sprach auch tschechisch! Es ging zuerst nur so halbwegs mit der Verständigung, aber Lehrer und Schüler lebten sich rasch in die neuen Verhältnisse ein.

Wir Kinder verstanden einander am besten, und wir lernten rasch einige Wörter der fremden Sprache - leider nicht die besten! Jedenfalls vertrugen wir uns gut und gaben den Alten ein gutes Beispiel“(S. 36).

 

g) Beobachtung der Arbeiter.

„Der Bahnbau ging rege vorwärts (...) Die Straße gegen den Paß war belebt von fremden Arbeitern. Da gingen einzeln und truppenweise Italiener mit hohen Schnürschuhen, voll benagelt, auf den Köpfen Schlapphüte, die Krempen nach hinten gebogen, um die Schultern den überaus reichfaltigen Mantel theatralisch geschwungen, in der Hand die Grubenlampe.

Da gingen Kroaten in Anzügen aus Samt, in Stiefeln, die hinten reichlich mit glänzenden Messingnägeln bespickt waren, schwarze, breitkrempige Hüte am Kopf und an der Weste eine äußerst schwere, breite silberne Uhrkette. Ihre Arbeitskleidung aber bestand aus Opanken, weißer Hose, das Hemd nach außen, darüber den kurzen Schafspelz, gehalten von einer breiten, messingbeschlagenen Lederschärpe.

Große Montenegriner mit enger Hose, Opanken, kurzer schwarzer Jacke, auf dem Kopf das schwarze, runde Käppchen mit zwei roten dreieckigen Feldern“(S. 63).

 

h) Totengedenken.

„Mancher kehrte nicht mehr heim in den Süden. Heute noch sehe ich im Geiste drei frische Grabhügel im Bergfriedhof, drei einfache Kreuze mit den Namen

Macelli Pietro
Mai Fortunanta
Petronius Secondos

Könnte sein, daß eine alte Braut heute noch vor ihrer Steinhütte in den Abbruzzen oder auf Sizilien sitzt, leise murmelnd, den Blick nach Norden gerichtet, aus dem ihr Amico nicht wiederkehrte“(S. 63 f.).